Seite:Märchen (Montzheimer) 040.jpg

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Mägdelein die herrlichsten Erdbeeren für den König bringe, sie ihm aber gern selbst geben möchte.

Als Magdalies nun vor den Männern stand, die sie ernsthaft ausfragten, woher sie käme und wer sie sei, da ward sie wieder zaghaft, denn zwei der Leibärzte erklärten, daß es nicht anginge, ein fremdes Mädchen vor den König zu führen.

Der älteste der Leibärzte wiegte ebenfalls gedankenvoll sein graues Haupt; dann aber sprach er leise: „Mich will bedünken, daß der Anblick der Pflückerin und Bringerin dieser Beeren, wie ich so köstliche, meiner Treu, noch niemals sah, den König erfreuen dürfte. Vielleicht wohnt schon in den Händen dieses Mädchens, das offenbar ebenso brav als schön ist, eine besondere Heilkraft, die sich auf die Erdbeeren übertrug.“ Laut aber fragte er: „Warum willst du deine Beeren dem König selbst geben?“

„Der sie mir schenkte, befahl, daß ich selbst sie dem Könige reichen müsse, so sie ihm helfen sollten.“

„Und wer ist das?“

„Das darf ich nimmer sagen; aber er meint es gut mit dem Könige und mir.“

Der alte Hofmedikus betrachtete Magdalies wohlgefällig, denn trotz ihrer ärmlichen Kleidung war sie schöner wie das schönste Hoffräulein.

Mit sittsam gesenkten Blicken folgte sie den voranschreitenden Leibärzten.

In einem noch weit prächtigeren Gemach lag der König auf einem seidenen Ruhebett, ganz in kostbare Felle und Decken gehüllt.

Ein Diener brachte einen goldenen Teller, auf welchem Magdalies dem Kranken ihre Erdbeeren darreichen sollte.

Von den Aerzten geleitet nahte die Jungfrau sich zaghaft dem Lager, um dem Schwerkranken, der fast kein Glied rühren konnte, die roten Früchte zu reichen.

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 40. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_040.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)