Seite:Märchen (Montzheimer) 073.jpg

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Aber wie an den Wächtern vorbei gelangen? Doch der Rabe, der nicht von Albrecht gewichen war, wußte Rat:

„In’s Gärtlein flieg’ ich leis, rab – rab,
Pflück’ ungesehn drei Blumen ab,“

und fort war er, ehe Albrecht noch etwas entgegnen konnte. Rasch war er wieder zurück, drei Blumen Rittersporn im Schnabel tragend, die er Albrecht gab, wobei er wohlgefällig schnarrte:

„Die Wächter waren eingenickt;
Hätt’ ungestraft noch mehr gepflückt.“

Ohne Säumen flog er dann nochmals fort und kam sogleich mit der Botschaft zurück:

„Der Hanko schläft, bleibst ungestört,
Drum schnell an’s Werk, dich niemand hört.“

Weiteren Dank nicht abwartend, hatte der treue Gehilfe sich schon davongemacht, so daß Albrecht flugs in die Küche schlich, wo er, wie es Hanko vor Wochen getan, heimlich seine Kräuter und Blumen kochte, bis es ebenfalls ganz appetitlich duftete.

Nun war das Werk getan. Er goß die Flüssigkeit wieder in seinen Astkrug und schritt leise ins Burggärtlein. Dort waren die beiden schlaftrunkenen Wächter eben erwacht. Der eine, der Knappe Gunzo, fragte den Nahenden befremdet: „Was schaffest du zur Nachtzeit im Burggärtlein?“ Doch der andere Wächter wollte Albrecht einfach festhalten. Da schrie er auf und schlug wütend um sich, denn ein Rabe hatte ihn ins Ohr gebissen. Woher der so plötzlich gekommen, ahnte der Gebissene nicht. Er lief dem Uebeltäter, der längst entschlüpft war, suchend nach, während Gunzo erstaunt sah, wie Albrecht, den günstigen Augenblick benutzend, den Inhalt seines sonderbaren Gefäßes auf den Rittersporn goß.

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_073.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)