Seite:Märchen (Montzheimer) 104.jpg

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Da antwortete Springmännlein mit fröhlichem Hüpfen:

„Springmann harret dein,
Bis es Zeit wird sein.
Hörst du die Jungfrau’n singen?
Sollst die Schönste dir erringen.“

Wenige Minuten später hatte Immo den Schlüssel im Torschloß umgedreht und schritt die enge Steintreppe zum Turmgemach empor.

Springmann hatte recht gehabt: die Jungfrauen sangen; aber es war nicht mehr jenes Klagelied, das er schon gehört, sondern es war, als ob sie einem Dritten antworteten, denn der Prinz vernahm ihre Worte:

„Deine Botschaft wir vernahmen,
Daß heut’ zwei zur Rettung kamen.
Du bist einer von den beiden,
Mußtest bitter für uns leiden;
Doch dein Bruder Immo wert
Schwang mit Mut das Zauberschwert.
Unser Dank werd’ ihm zuteil;
Unserm Retter Immo Heil!“

Jetzt sprang die Tür zum Turmgemach auf, und Immo trat über die Schwelle. Er sah zuerst die beiden schönen Jungfrauen, die Hand in Hand an dem engen Fenster standen und Zwiesprache mit einem draußen am Eisengitter kauernden Falken hielten. Immo begriff gleich, daß sein Bruder die Freudenbotschaft gebracht hatte.

Als Immo nun das Zauberschwert klirren ließ, wandten sich die Jungfrauen erschrocken um. Doch ein Blick auf den Jüngling ließ sie erkennen, daß sie ihren Retter vor sich hatten.

Jetzt erst gewahrte Immo, daß jede der beiden Gefangenen um einen Arm ein starkes Seil geschlungen trug, dessen Ende fest in das Gemäuer gefügt war.

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipziger Graphische Werke AG, Leipzig 1927, Seite 104. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_104.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)