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Jugend sehr populäre Einstellung sich in den Dienst einiger Götzen gestellt, deren Kult wir heute an allen Straßenecken und in allen Zeitschriften sich breit machen finden. Jene Götzen sind: die „Persönlichkeit“ und das „Erleben“. Beide sind eng verbunden: die Vorstellung herrscht, das letztere mache die erstere aus und gehöre zu ihr. Man quält sich ab zu „erleben“, – denn das gehört ja zur standesgemäßen Lebensführung einer Persönlichkeit, – und gelingt es nicht, dann muß man wenigstens so tun, als habe man diese Gnadengabe. Früher nannte man dies „Erlebnis“ auf deutsch: „Sensation“. Und von dem, was „Persönlichkeit“ sei und bedeute, hatte man eine – ich glaube – zutreffendere Vorstellung.

Verehrte Anwesende! „Persönlichkeit“ auf wissenschaftlichem Gebiet hat nur der, der rein der Sache dient. Und nicht nur auf wissenschaftlichem Gebiet ist es so. Wir kennen keinen großen Künstler, der je etwas anderes getan hätte, als seiner Sache und nur ihr zu dienen. Es hat sich, soweit seine Kunst in Betracht kommt, selbst bei einer Persönlichkeit vom Range Goethes gerächt, daß er sich die Freiheit nahm: sein „Leben“ zum Kunstwerk machen zu wollen. Aber mag man das bezweifeln, – jedenfalls muß man eben ein Goethe sein, um sich das überhaupt erlauben zu dürfen, und wenigstens das wird jeder zugeben: unbezahlt ist es auch bei jemand wie ihm, der alle Jahrtausende einmal erscheint, nicht geblieben. Es steht in der Politik nicht anders. Davon heute nichts.[WS 1] Auf dem Gebiet der Wissenschaft aber ist derjenige ganz gewiß keine „Persönlichkeit“, der als Impresario der Sache, der er sich hingeben sollte, mit auf die Bühne tritt, sich durch „Erleben“ legitimieren möchte und fragt: Wie beweise ich, daß ich etwas anderes bin als nur ein „Fachmann“, wie mache ich es, daß ich, in der Form oder in der Sache, etwas sage, das so noch keiner gesagt hat wie ich: – eine heute massenhaft auftretende Erscheinung, die überall kleinlich wirkt, und die denjenigen herabsetzt, der so fragt, statt daß ihn die innere Hingabe an die Aufgabe und nur an sie auf die Höhe und zu der Würde der Sache emporhöbe, der er zu dienen vorgibt. Auch das ist beim Künstler nicht anders. –

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Hierzu äußerte sich Weber erst einige Zeit später innerhalb derselben Vortragsreihe in seinem ebenfalls berühmt gewordenen Vortrag Politik als Beruf.
Empfohlene Zitierweise:
Max Weber: Wissenschaft als Beruf. Duncker & Humblot, München und Leipzig 1919, Seite 13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Max_Weber_-_Wissenschaft_als_Beruf_-_Seite_13.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)