Seite:Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien 10.jpg

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Wir senckten alle Tage den Bleywurff ein, biß wir funden, daß wir nahs an einem Lande seyn müsten. Wir wurden aber gewahr, daß wir in die Bucht von Camerin verfallen wären; segelten dahero wieder zurücke. Und da wir nun meyneten, gantz gewisse Ceylon ansichtig zu werden, und doch immer aufgehalten wurden, fingen wir an etwas betrübt zu werden, dieweil nur noch vor wenig Jahren eben um diese Gegend ein Dänisch Schiff gäntzlich verunglücket ist. Der Capitain und die Steuer-Leute stiegen alle auf den großen Seegel-Baum, und sahen sich um; Hinten wurde alle halbe Stunde der Bleywurff eingesencket, damit sie sich allenthalben fürsehen möchten; Zumahl weil ein sehr hefftiger Wind war, und daß Schiff wie ein Pfeil dahin schoß. Unvermuthet entstund ein Geschrey, daß zwey grosse Klippen vor uns lägen, welches wir nicht einmahl gewar worden wären, wenn ein starcker Wind mit den hefftigen schlagen und Wieder-prallen der Wellen nicht ein greuliches Geräusch gemachet hätte. Hier gedachten wir öffters an die Worte Davids Ps. 139. Wo soll ich hingehen für deinen Geist, und Wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesichte. Nehme ich Flügel der Morgenröthe und bliebe am eusersten Meere, so Würde mich doch deine Hand daselbst finden etc. Aber GOtt halff uns glücklich aus dieser Gefahr, und ließ uns nachmahls Ceylon bald ansichtig werden, an welcher Insel wir gantz nahe herum schiffeten, und auch einmahl eine schöne Frucht heraus bekahmen, Anas genant. Bey stillem Wetter konte man am Lande die Elephanten gehen sehen. Endlich hieß es am 9. Julii: Biß hieher hat der HErr geholffen! Contigimus portum, quo mihi cursus erat! Da wir denn glücklich ankamen und mit grossen Freuden empfangen wurden. Die Zeit ist uns sehr kurtz geworden, sintemahl wir unter andern auch beschäfftiget gewesen, unsere Betrachtungen über gewisse Materien, nemlich von der wahren Weißheit und der Harmonie zwischen dem Reiche der Natur und Gnaden zu Papier zu bringen. Es lieget dieser Ort unter dem 11. Grad disseits der Linie, und ist mit lauter Malabarischen Heiden angefüllet, also daß wir fürs erste an ihnen genugsahme Arbeit haben werden, und nicht erst weit ins Land hinein gehen dürffen. Wir gehen täglich mit ihnen um, und vergönnen einem jeden freyen Zugang zu uns: daher sie uns denn jetzt noch gar lieb haben.

So viel vor diesesmahl. Mit nechsten ein mehrerers. Unsern hertzl. Gruß an alle liebe Freunde. Herr Plütscho, mein treuer Bruder und lieber Mitt-Gehülffe am Wercke des HErren, wünschet ihnen mit mir vielfältigen Seegen des HErren. Ich verbleibe

Dero zu Gebet und Liebe
allezeit verbundener
In Ost-Indien zu Tranquebar
auf der Küste von Coromandel,
d. 12. Jul. Anno 1706.
Bartholomæus Ziegenbalg,
Diener des Göttl. Worts
unter den Heiden.
Empfohlene Zitierweise:
Bartholomäus Ziegenbalg, Heinrich Plütscho: Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien. Joh. Christoph Papen, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin 1708, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Merckw%C3%BCrdige_Nachricht_aus_Ost-Indien_10.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)