Seite:Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien 11.jpg

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Dritter Brieff,

[vom 2. September 1706]
von

Der Malabaren grossen Blindheit und Heidnischen Abgötterey.


In Christo Werthgeschätzte Gönner und Freunde,

NAchdem ich mich alhier ein wenig der Heidnischen Theologie und Philosophie erkundiget, und einen so gar grossen Unterscheid gefunden, unter derselbigen und derjenigen, so GOtt uns Europæern gegönnet, so habe ich zu desto mehrer Hochachtung der uns wiederfahrnen Gnade GOttes alhier etwas davon melden wollen: Und zwar was erstlich die Theologie der Malabaren (also werden diese Völcker in hiesiger gantzen Gegend genennet) anlanget, so ist solche recht abgöttisch und Fabelhafft. Denn sie haben viel hundert Götter; erkennen aber doch nur ein einiges Göttliches Wesen für den Ursprung aller Götter und aller andern Dinge, welches sie Isparetta nennen, und heisset in ihrer Sprache die Göttlichkeit. Diese, sagen sie, als noch nichts erschaffen gewesen, habe sich in ein Ey verwandelt, daraus Himmel und Erde, und alles was darinnen ist, hervorgekommen wäre. Aus dieser Göttlichkeit sey nachmahls entstanden etwas, so sie Kiwelinga nennen, und in ihren Pagoden als Göttlich verehren. Vermittelst dieses Kiwelinga sollen aus der Göttlichkeit drey grosse Götter ihren Anfang genommen haben, nemlich Bramma, Wischtnum, und Ispara-Bramma soll alle Dinge machen, Wischtnum soll sie regieren, und Ispara selbige wieder verderben. Sie stehen alle drey in grossen Pagoden allhier. Die armen Leute mögen etwa einmahl gehöret haben, wie zwar nur ein einiges göttliches Wesen sey, aber sich in demselben drey Personen geoffenbahret haben; Wie sie denn in vielen Dingen dasjenige dem Bramma zuschreiben, was wir Christo JEsu zu eignen. Sie sagen daß er ein Menschlich Wesen habe mit 4. Häuptern, und daß er den Menschen 4. Bücher gegeben; Daß erste handle von der Göttlichkeit und den primis principiis omnium rerum[1]. Das andere von den Gewaltigen und von der Metamorphosi omnium rerum[2]; Das dritte von lauter guten Moralien; Das 4te von den schuldigen Pflichten ihres Götzen-Dienstes. Ich war vor einigen Tagen bey einem alten Schul-Lehrer, und bat, daß er mir die drey letzten für gute Bezahlung in ihrer Sprache abschreiben möchte; Aber er konte sich dazu nicht resolviren[3], indem es wieder ihr Gesätze wäre, einem Christen dergleichen zukommen zu lassen: Jedoch versprach er mir ihre Moralia aufzuschreiben, und alle Gewohnheiten,


  1. lat.: ersten Ursachen aller Dinge
  2. griech.-lat.: Umwandlung aller Dinge
  3. eine Entschließung fassen
Empfohlene Zitierweise:
Bartholomäus Ziegenbalg, Heinrich Plütscho: Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien. Joh. Christoph Papen, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin 1708, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Merckw%C3%BCrdige_Nachricht_aus_Ost-Indien_11.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)