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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

sah Margreth den Beiden nach, wie sie fortschritten, Simon voran, mit seinem Gesicht die Luft durchschneidend, während ihm die Schöße des rothen Rocks wie Feuerflammen nachzogen. So hatte er ziemlich das Ansehen eines feurigen Mannes, der unter dem gestohlenen Sacke büßt; Friedrich ihm nach, fein und schlank für sein Alter, mit zarten, fast edlen Zügen und langen blonden Locken, die besser gepflegt waren, als sein übriges Aeußere erwarten ließ; übrigens zerlumpt, sonneverbrannt und mit dem Ausdruck der Vernachläßigung und einer gewissen rohen Melancholie in den Zügen. Dennoch war eine große Familienähnlichkeit Beider nicht zu verkennen, und wie Friedrich so langsam seinem Führer nachtrat, die Blicke fest auf denselben geheftet, der ihn gerade durch das Seltsame seiner Erscheinung anzog, erinnerte er unwillkührlich an Jemand, der in einem Zauberspiegel das Bild seiner Zukunft mit verstörter Aufmerksamkeit betrachtet.

Jezt nahten die beiden sich der Stelle des Teutoburger Waldes, wo das Brederholz den Abhang des Gebirges niedersteigt und einen sehr dunkeln Grund ausfüllt. Bis jezt war wenig gesprochen worden. Simon schien nachdenkend, der Knabe zerstreut, und Beide keuchten unter ihren Säcken. Plötzlich fragte Simon: „Trinkst du gern Branntwein?“ – Der Knabe antwortete nicht. „Ich frage, trinkst du gern Branntwein? gibt dir die Mutter zuweilen welchen?“ – „Die Mutter hat selbst keinen“, sagte Friedrich. – „So, so, desto besser! – kennst du das Holz da vor uns?“ – „Das ist das Brederholz.“ – „Weißt du auch, was darin vorgefallen ist?“ – Friedrich schwieg. Indessen kamen sie der düstern Schlucht immer näher. „Betet die Mutter noch so viel?“ hob Simon wieder an. – „Ja, jeden Abend zwei Rosenkränze.“ – „So? und du betest mit?“ – Der Knabe lachte halb verlegen mit einem durchtriebenen Seitenblick. – „Die Mutter betet in der Dämmerung vor dem Essen den einen Rosenkranz, dann bin ich meist noch nicht wieder da mit den Kühen, und den andern im Bette, dann schlaf ich gewöhnlich ein.“ – „So, so, Geselle!“

Diese lezten Worte wurden unter dem Schirme einer weiten Buche gesprochen, die den Eingang der Schlucht überwölbte. Es war jezt ganz finster; das erste Mondviertel stand am Himmel, aber seine schwachen Schimmer dienten nur dazu, den Gegenständen, die sie zuweilen durch eine Lücke der Zweige berührten, ein fremdartiges Ansehen zu geben. Friedrich hielt sich dicht hinter seinem Ohm; sein Odem ging schnell, und wer seine Züge hätte unterscheiden können, würde den Ausdruck einer ungeheuren, doch mehr phantastischen als furchtsamen Spannung darin wahrgenommen haben. So schritten Beide rüstig voran, Simon mit dem festen Schritt des abgehärteten Wanderers, Friedrich schwankend und wie im Traum. Es kam ihm vor, als ob Alles sich bewegte und die Bäume in den einzelnen Mondstrahlen bald zusammen, bald von einander schwankten. Baumwurzeln und schlüpfrige Stellen, wo sich das Wegwasser gesammelt, machten seinen Schritt unsicher; er war einigemale nahe daran, zu fallen. Jezt schien sich in einiger Entfernung das Dunkel zu brechen, und bald traten Beide in eine ziemlich große Lichtung. Der Mond schien klar hinein und zeigte, daß hier noch vor Kurzem die Axt unbarmherzig gewüthet hatte. Ueberall ragten Baumstümpfe hervor, manche mehrere Fuß über der Erde, wie sie gerade in der Eile am bequemsten zu durchschneiden gewesen waren; die verpönte Arbeit mußte unversehens unterbrochen worden seyn, denn eine Buche lag quer über dem Pfad, in vollem Laube, ihre Zweige hoch über sich streckend und im Nachtwinde mit den noch frischen Blättern zitternd. Simon blieb einen Augenblick stehen und betrachtete den gefällten Stamm mit Aufmerksamkeit. In der Mitte der Lichtung stand eine alte Eiche, mehr breit als hoch; ein blasser Strahl, der durch die Zweige auf ihren Stamm fiel, zeigte, daß er hohl sey, was ihn wahrscheinlich vor der allgemeinen Zerstörung geschüzt hatte. Hier ergriff Simon plötzlich des Knaben Arm.

„Friedrich, kennst du den Baum? Das ist die breite Eiche.“ – Friedrich fuhr zusammen und klammerte sich mit kalten Händen an seinen Ohm. „Sieh,“ fuhr Simon fort, „hier haben Ohm Franz und der Hülsmeyer deinen Vater gefunden, als er in der Betrunkenheit ohne Buße und Oelung zum Teufel gefahren war.“ – „Ohm, Ohm!“ keuchte Friedrich. – „Was fällt dir ein? Du wirst dich doch nicht fürchten? Satan von einem Jungen, du kneipst mir den Arm! laß los, los!“ – Er suchte den Knaben abzuschütteln. – „Dein Vater war übrigens eine gute Seele; Gott wird’s nicht so genau mit ihm nehmen. Ich hatt’ ihn so lieb wie meinen eigenen Bruder.“ – Friedrich ließ den Arm seines Ohms los; Beide legten schweigend den übrigen Theil des Waldes zurück und das Dorf Brede lag vor ihnen, mit seinen Lehmhütten und den einzelnen bessern Wohnungen von Ziegelsteinen, zu denen auch Simons Haus gehörte.

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_394.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)