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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

blitzen sehen; es war die Gurtschnalle des Oberförsters, den man nun hinter den Ranken liegend fand, grad ausgestreckt, die rechte Hand um den Flintenlauf geklemmt, die andere geballt und die Stirn von einer Axt gespalten.

Dieß waren die Aussagen der Förster; nun kamen die Bauern an die Reihe, aus denen jedoch nichts zu bringen war. Manche behaupteten, um vier Uhr noch zu Hause oder anderswo beschäftigt gewesen zu seyn, und keiner wollte etwas bemerkt haben. Was war zu machen? sie waren sämmtlich angesessene, unverdächtige Leute. Man mußte sich mit ihren negativen Zeugnissen begnügen.

Friedrich ward herein gerufen. Er trat ein mit einem Wesen, das sich durchaus nicht von seinem gewöhnlichen unterschied, weder gespannt noch keck. Das Verhör währte ziemlich lange und die Fragen waren mitunter ziemlich schlau gestellt; er beantwortete sie jedoch alle offen und bestimmt und erzählte den Vorgang zwischen ihm und dem Oberförster ziemlich der Wahrheit gemäß, bis auf das Ende, das er gerathener fand, für sich zu behalten. Sein Alibi zur Zeit des Mordes war leicht erwiesen. Der Förster lag am Ausgange des Masterholzes; über Dreiviertel Stunden Weges von der Schlucht, in der er Friedrich um vier Uhr angeredet und aus der dieser seine Heerde schon zehn Minuten später in’s Dorf getrieben. Jedermann hatte dieß gesehen; alle anwesenden Bauern beeiferten sich, es zu bezeugen; mit diesem hatte er geredet, jenem zugenickt.

Der Gerichtsschreiber saß unmuthig und verlegen da. Plötzlich fuhr er mit der Hand hinter sich und brachte etwas Blinkendes vor Friedrichs Auge. „Wem gehört dieß?“ – Friedrich sprang drei Schritt zurück. „Herr Jesus! ich dachte Ihr wolltet mir den Schädel einschlagen.“ Seine Augen waren rasch über das tödtliche Werkzeug gefahren und schienen momentan auf einem ausgebrochenen Splitter am Stiele zu haften. „Ich weiß es nicht,“ sagte er fest. – Es war die Axt, die man in dem Schädel des Oberförsters eingeklammert gefunden hatte. – „Sieh sie genau an,“ fuhr der Gerichtsschreiber fort. Friedrich faßte sie mit der Hand, besah sie oben, unten, wandte sie um. „Es ist eine Axt wie andere,“ sagte er dann und legte sie gleichgültig auf den Tisch. Ein Blutfleck ward sichtbar; er schien zu schaudern, aber er wiederholte noch einmal sehr bestimmt: „Ich kenne sie nicht.“ Der Gerichtschreiber seufzte vor Unmuth. Er selbst wußte um nichts mehr, und hatte nur einen Versuch zu möglicher Entdeckung durch Ueberraschung machen wollen. Es blieb nichts übrig, als das Verhör zu schließen.

Denjenigen, die vielleicht auf den Ausgang dieser Begebenheit gespannt sind, muß ich sagen, daß diese Geschichte nie aufgeklärt wurde, obwohl noch viel dafür geschah und diesem Verhöre mehrere folgten. Den Blaukitteln schien durch das Aufsehen, das der Vorgang gemacht, und die darauf folgenden geschärften Maßregeln der Muth genommen; sie waren von nun an wie verschwunden, und obgleich späterhin noch mancher Holzfrevler erwischt wurde, fand man doch nie Anlaß, ihn der berüchtigten Bande zuzuschreiben. Die Axt lag zwanzig Jahre nachher als unnützes Corpus delicti im Gerichtsarchiv, wo sie wohl noch jezt ruhen mag mit ihren Rostflecken. Es würde in einer erdichteten Geschichte Unrecht seyn, die Neugier des Lesers so zu täuschen. Aber dieß Alles hat sich wirklich zugetragen; ich kann nichts davon oder dazu thun.

Am nächsten Sonntage stand Friedrich sehr früh auf, um zur Beichte zu gehen. Es war Mariä Himmelfahrt und die Pfarrgeistlichen schon vor Tagesanbruch im Beichtstuhle. Nachdem er sich im Finstern angekleidet, verließ er so geräuschlos wie möglich den engen Verschlag, der ihm in Simons Hause eingeräumt war. In der Küche mußte sein Gebetbuch auf dem Sims liegen, und er hoffte, es mit Hülfe des schwachen Mondlichts zu finden; es war nicht da. Er warf die Augen suchend umher und fuhr zusammen; in der Kammerthür stand Simon, fast unbekleidet; seine dürre Gestalt, sein ungekämmtes, wirres Haar und die vom Mondschein verursachte Blässe des Gesichts gaben ihm ein schauerlich verändertes Ansehen. „Sollte er nachtwandeln?“ dachte Friedrich, und verhielt sich ganz still. – „Friedrich, wohin?“ flüsterte der Alte. – „Ohm, seyd Ihr’s? ich will beichten gehen.“ – „Das dacht’ ich mir; geh’ in Gottes Namen, aber beichte wie ein guter Christ.“ – „Das will ich“, sagte Friedrich. – „Denk an die zehn Gebote: du sollst kein Zeugniß ablegen gegen deinen Nächsten.“ – „Kein falsches!“ „Nein, gar keines; du bist schlecht unterrichtet; wer einen andern in der Beichte anklagt, der empfängt das Sakrament unwürdig.“

Beide schwiegen. – „Ohm, wie kommt Ihr darauf?“ sagte Friedrich dann; „Eu’r Gewissen ist nicht rein; Ihr habt mich belogen.“ – „Ich? So?“ – „Wo ist Eure Axt?“ – „Meine Axt? Auf der Tenne.“ – „Habt Ihr einen neuen Stiel hinein gemacht? wo ist der alte?“ – „Den kannst du heute bei Tag im Holzschuppen finden. Geh’,“ fuhr er verächtlich fort, „ich dachte, du seyst ein Mann; aber du bist ein altes Weib, das gleich meint, das Haus brennt, wenn ihr Feuertopf raucht. Sieh,“ fuhr er fort, „wenn ich mehr von der Geschichte weiß, als der Thürpfosten da, so will ich ewig nicht selig werden. – Längst war ich zu Haus“, fügte er hinzu. – Friedrich stand beklemmt und zweifelnd. Er hätte viel darum gegeben, seines Ohms Gesicht sehen zu können. Aber während sie flüsterten, hatte der Himmel sich bewölkt.

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_415.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)