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Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111

Nach einigem Zögern ward die Thür geöffnet und ein Mann leuchtete mit der Lampe hinaus. – „Kommt nur herein!“ sagte er dann, „Ihr werdet uns den Hals nicht abschneiden.“

In der Küche befanden sich außer dem Manne eine Frau in den mittlern Jahren, eine alte Mutter und fünf Kinder. Alle drängten sich um den Eintretenden her und musterten ihn mit scheuer Neugier. Eine armselige Figur! mit schiefem Halse, gekrümmtem Rücken, die ganze Gestalt gebrochen und kraftlos; langes, schneeweißes Haar hing um sein Gesicht, das den verzogenen Ausdruck langen Leidens trug. Die Frau ging schweigend an den Herd und legte frisches Reisig zu. – „Ein Bett können wir Euch nicht geben,“ sagte sie; „aber ich will hier eine gute Streu machen; Ihr müßt Euch schon so behelfen.“ – „Gott’s Lohn!“ versezte der Fremde; „ich bin’s wohl schlechter gewohnt.“ – Der Heimgekehrte ward als Johannes Niemand erkannt, und er selbst bestätigte, daß er derselbe sey, der einst mit Friedrich Mergel entflohen.

Das Dorf war am folgenden Tage voll von den Abenteuern des so lange Verschollenen. Jeder wollte den Mann aus der Türkei sehen, und man wunderte sich beinahe, daß er noch aussehe wie andere Menschen. Das junge Volk hatte zwar keine Erinnerungen von ihm, aber die Alten fanden seine Züge noch ganz wohl heraus, so erbärmlich entstellt er auch war. „Johannes, Johannes, was seyd Ihr grau geworden!“ sagte eine alte Frau. „Und woher habt Ihr den schiefen Hals?“ – „Vom Holz- und Wassertragen in der Sklaverei,“ versezte er. – „Und was ist aus Mergel geworden? Ihr seyd doch zusammen fortgelaufen?“ – „Freilich wohl; aber ich weiß nicht, wo er ist, wir sind von einander gekommen. Wenn Ihr an ihn denkt, betet für ihn,“ fügte er hinzu, „er wird es wohl nöthig haben.“

Man fragte ihn, warum Friedrich sich denn aus dem Staube gemacht, da er den Juden doch nicht erschlagen? – „Nicht?“ sagte Johannes und horchte gespannt auf, als man ihm erzählte, was der Gutsherr geflissentlich verbreitet hatte, um den Fleck von Mergels Namen zu löschen. „Also ganz umsonst,“ sagte er nachdenkend, „ganz umsonst so viel ausgestanden!“ Er seufzte tief und fragte nun seinerseits nach Manchem. Simon war lange todt, aber zuvor noch ganz verarmt, durch Prozesse und böse Schuldner, die er nicht gerichtlich belangen durfte, weil es, wie man sagte, zwischen ihnen keine reine Sache war. Er hatte zulezt Bettelbrod gegessen und war in einem fremden Schuppen auf dem Stroh gestorben. Margreth hatte länger gelebt, aber in völliger Geistesdumpfheit. Die Leute im Dorf waren es bald müde geworden, ihr beizustehen, da sie alles verkommen ließ, was man ihr gab, wie es denn die Art der Menschen ist, gerade die Hülflosesten zu verlassen, solche, bei denen der Beistand nicht nachhaltig wirkt und die der Hülfe immer gleich bedürftig bleiben. Dennoch hatte sie nicht eigentlich Noth gelitten; die Gutsherrschaft sorgte sehr für sie, schickte ihr täglich das Essen und ließ ihr auch ärztliche Behandlung zukommen, als ihr kümmerlicher Zustand in völlige Abzehrung übergegangen war. In ihrem Hause wohnte jezt der Sohn des ehemaligen Schweinehirten, der an jenem unglücklichen Abende Friedrichs Uhr so sehr bewundert hatte. – „Alles hin, Alles todt!“ seufzte Johannes.

Am Abend, als es dunkel geworden war und der Mond schien, sah man ihn im Schnee auf dem Kirchhofe umherhumpeln; er betete bei keinem Grabe, ging auch an keines dicht hinan, aber auf einige schien er aus der Ferne starre Blicke zu heften. So fand ihn der Förster Brandis, der Sohn des Erschlagenen, den die Gutsherrschaft abgeschickt hatte, ihn in’s Schloß zu holen.

Beim Eintritt in das Wohnzimmer sah er scheu umher, wie vom Licht geblendet, und dann auf den Baron, der sehr zusammengefallen in seinem Lehnstuhl saß, aber noch immer mit den hellen Augen und dem rothen Käppchen auf dem Kopfe wie vor acht-und-zwanzig Jahren; neben ihm die gnädige Frau, auch alt, sehr alt geworden.


 Rose und Lilie.

Die Rose liebt die Lilie,
     Sie steht zu ihren Füßen.
Bald lös’t die Glut ihr schönstes Blatt,
     Es fällt, die Braut zu grüßen.

5
Die Lilie bemerkt es wohl,

     Sie hätt’ das Blättlein gerne;
Der Wind verweht’s, und Blatt nach Blatt
     Jagt er in alle Ferne.

Die Rose doch läßt nimmer ab,

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     Läßt immer neue fallen;

Sie grüßt, und grüßt sich fast zu todt,
     Doch keines trifft von allen.

Das lezte fängt die Lilie
     Und thut sich dicht zusammen;

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Nun glüht das Blatt in ihrem Kelch,

     Als wie ein Herz voll Flammen.

 Fr. Hebbel.

Empfohlene Zitierweise:
Annette von Droste-Hülshoff: Die Judenbuche. In: Morgenblatt für gebildete Leser, Nr. 96-111. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1842, Seite 435. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Morgenblatt_fuer_gebildete_Leser_1842_435.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)