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weiblichen als männlichen Geschlecht nach eingetretener Pubertätszeit, und Fälle von dämonischer Krankheit, der Besessenen, Behexten der alten Zeit, im Alter zwischen 30 und 50 Jahren bei beiden Geschlechtern. (Namentlich „das Mädchen von Orlach“.) Sie bekunden sich entweder unter der Form von Krämpfen und Zuckungen theils in den Gliedern, theils im Unterleib und endlichem Erbrechen von Stecknadeln, Nägelstumpen, Haaren, Borsten, Hülsen von Haber, Stückchen von Stroh und Heu etc. oder durch das Gefühl einer schweren Last im Genick. Ein sicheres Beschwichtigungsmittel des heftigen Nervenaufruhrs finden die Kranken der letzteren Form insbesondere im Gebet des Vaterunsers. Bemerkung verdient, daß einige dieser Orte, namentlich Bubenorbis, Michelfeld, Thüngenthal in früheren Zeiten zu Wechselfiebern geneigt waren, die jetzt nicht mehr vorkommen.

Der sittliche Zustand ist besser geworden als früher. Fast allgemeiner Charakterzug ist Gutmüthigkeit, Gefälligkeit und Biederkeit. Kund gibt sich großer Hang zum Kirchengehen, aber auch nicht minder ein lebensfroher Sinn und eine große Neigung für Geselligkeit, für Lust und Vergnügen; jedoch sind die Besuche des Wirthshauses am Vormittage, wie auch an Feier-, Fest- und Sonn-Tagen im Abnehmen. Bei täglichen Klagen über Mangel an Erwerb und Geld, wie über große Concurrenz, nimmt der Luxus in Kleidung zu.

Die Lebensweise der Landbewohner ist durchschnittlich einfach, aber gut; Mehlspeisen aller Art, nebst etwas Fleisch, das meist von guter Beschaffenheit und wenigstens am Sonntag zu haben ist, aber auch in der Woche bisweilen aus der Stadt mitgebracht wird, bilden sammt gutem Brod die Hauptnahrung; bei den Ärmeren vertreten die Kartoffeln immer mehr die Stelle derselben. Gemüse werden nicht überall in gehöriger Menge angebaut, ebensowenig ist Obst genug vorhanden, um eine wichtige Rolle in der Reihe der Nahrungsmittel zu spielen. Als Getränke wird hauptsächlich Bier, bei den Wohlhabenderen Wein, der im Herbst eingethan wird, von der ärmeren Klasse ziemlich Getreide- und Kartoffel-Branntwein genossen. Obstmost wird nur ausnahmsweise bereitet. Die Wirthschaftsabgaben betragen in unserem Bezirke noch so viel, als in manchen andern Bezirken. Beträchtlich ist auch der Verbrauch von Kaffee, gewöhnlich mit Zusatz von Cichorien und gelben Rüben; zum Versüßen desselben wird häufig, um der Wohlfeilheit willen, holländischer Syrup genommen. Gegen Weihnachten wird bei den Bauern gewöhnlich ein Rind oder eine gemästete Göltkuh, hier „der Küchenknecht“ genannt, geschlachtet, worauf nach Lichtmeß ein fettes Schwein

Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Hall. Verlag der J. G. Cotta’sche Buchhandlung, Stuttgart und Tübingen 1847, Seite 42. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAHall0042.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)