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große Capelle angebaut, worin ehemals die Capitel gehalten wurden, und welche jetzt zum protestantischen Gottesdienste eingeräumt ist. Die vormalige Pfarrkirche von Zwiefalten wurde in neuern Zeiten verkauft und von dem Käufer zu einer Wohnung eingerichtet. Das merkwürdigste Gebäude ist die Klosterkirche, zur Muttergottes, auch Münster genannt, die i. J. 1738 angefangen und nach einer Inschrift über dem Portal, 1753 vollendet wurde. Sie ist 336 Fuß lang und 120 Fuß breit, und hat 2 gleiche Thürme. Trotz ihrer Überladung mit Zierrathen ist sie eine der schönsten Kirchen in Schwaben; nebst einem schönen Hochaltar stehen 14 Nebenaltäre darin. Sie hatte 2 Orgeln, die eine davon, die berühmte große Orgel wurde aber i. J. 1811 in die Stiftskirche nach Stuttgart versetzt, wo sie nun freylich bey der Art, wie sie dort aufgestellt ist, ihr altes Ansehen gänzlich verloren hat. Von den vielen Gemälden der Kirche verdienen nur zwey Altarblätter von Guibal, die Kreuzigung Petri und die Steinigung Stephani vorstellend, eine Erwähnung. In der Kirche waren sonst, und sind zum Theil noch jetzt, eine Menge Reliquien und heilige Leiber und Glieder aufbewahrt. Das geschätzteste Stück davon war immer die Hand des h. Stephanus, wegen der das Kloster vielen Anfechtungen ausgesetzt war. Sie wurde von der Wittwe des Herzogs Boleslaus von Polen, der dafür ein großes Landgut hingegeben hatte, dem Kloster i. J. 1141 zum Geschenk gemacht, und in feyerlicher Deputation von Otto von Steußlingen bey ihr abgeholt. Der Erzherzog, nachher Kaiser, Matthias drang bey einem Besuche, den er mit dem Herzog Friedrich von Würtemberg dem Kloster i. J. 1596 machte, so sehr in die geistlichen Herrn, ihm wenigstens einen Finger von der Hand zu überlassen, daß diese nicht umhin konnten, seinem Gesuche zu willfahren. Aber der gute Abt büßte seine Nachgiebigkeit und die Sünde der Verstümmlung in der Folge mit dem Verlust seiner Abtey.[1] Auch die Gebeine der Stifter von Zwiefalten,


  1. Sulger Ann. Zw. I. 98. II. 182 und ff.
Empfohlene Zitierweise:
Johann Daniel Georg von Memminger: Beschreibung des Oberamts Münsingen. J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1825, Seite 220. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAM%C3%BCnsingen220.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)