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herrschte nun der Scharlach epidemisch, aber in eigenthümlicher Weise. Neben vielen wohl ausgeprägten Fällen kam eine große Zahl von leichten Erkrankungen vor, bei welchem das fragmentarische Auftreten der Symptome und namentlich des Ausschlages daran zweifeln ließ, ob man es wirklich mit Scharlach zu thun habe. Manche gaben diesem weitverbreiteten, durchaus gutartigen Exantheme den unbestimmten Namen der Rötheln. Aber offenbar war es nichts Anderes, als eine sehr leichte Form des wahren Scharlachs. Mit dieser Epidemie war der Scharlach wieder in den Kreis der herrschenden Krankheiten eingeführt. Im Winter von 1849 auf 1850, während der Masernepidemie, erschien der Scharlach in einzelnen Fällen, aber schon etwas häufiger, mit den Masern zu- und abnehmend; seine Symptome waren ausgeprägter und intenser. Auf die Masernepidemie von 1852 auf 1853 aber folgte eine Scharlachepidemie, welche vom April bis Okt. dauerte und sehr viele Kinder ergriff. Die Krankheit war im Allgemeinen wohl charakterisirt; sie war nicht bösartig; aber neben den leichteren Erkrankungen fehlten nicht die schwereren und tödtlichen. In den Armendistrikten starben 12 Proz. der Erkrankten. Seit dieser Epidemie ist der Scharlach nicht mehr ganz aus der Stadt verschwunden; es kommen immer noch vereinzelte, bald leichtere, bald schwerere Fälle vor. Wie bei den Masern, so hängt auch beim Scharlach dieses neue Auftreten mit allgemeinen epidemischen Verhältnissen des westlichen Europa’s zusammen. 1

Mit weniger Freiheit, als diese Ausschläge, konnten sich die Pocken seit Einführung der Vaccine entwickeln. Vor 1805, wo die Kuhpockenimpfung sich in St. zuerst allgemeiner verbreitete, war unsere Stadt von wiederholten, zum Theil sehr verheerenden Pockenepidemieen heimgesucht worden; 1796 erlagen den Pocken 268 Personen. In einem Zeitraume von 40 Jahren kehrten die Pockenepidemieen zehn- bis eilfmal wieder, zuletzt 1803. Nach 1805 kamen keine größeren Epidemieen mehr vor; seit 1814 wurde die Kuhpockenimpfung im ganzen Lande geordnet, und das Geimpftsein als Bedingung der Aufnahme in die Schule aufgestellt. Darum fehlte es aber doch fast zu keiner Zeit an vereinzelten, von Außen eingeschleppten oder durch fremdes Contagium hervorgerufenen Fällen, und in einigen Jahrgängen erschienen diese in auffallend größerer Zahl. So wurden 1829: 19, 1837–1838: 39 und 1848–1849: 80 Pockenkranke im C.-Hosp. behandelt. Diese Zahlen geben fast genau den Krankenstand in St. überhaupt an; denn die Kranken, welche zur öffentlichen Kenntniß kamen, wurden alle dorthin gebracht, und man darf annehmen, daß die Zahl der verheimlichten

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Rudolph Moser: Beschreibung des Stadtdirections-Bezirkes Stuttgart. Eduard Hallberger, Stuttgart 1856, Seite 85. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAStuttgartStadt0085.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)