Seite:OAWeinsberg 053.png

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Vielen zu Hause ist, fand der Baptismus, auf der einen Seite von Brettach her (s. oben), auf der anderen Seite von Dauernberg, Oberamts Backnang, her, offenes Feld zum Eindringen in Neuhütten und Parzellen, Wüstenroth und Parzellen, und einigen andern. Die große Parochie Mainhardt hat sich bis jetzt davor bewahrt.

Mangelhafte Kinderzucht geht mit den oben gezeichneten Mißständen Hand in Hand. Die Schule wurde von der Mehrzahl als eine lästige, unnöthige, große Kosten machende Zwangsanstalt betrachtet und dem Lehrer sein dürftiger Gehalt oder eine Ausbesserung seiner oft kaum zureichenden Wohnung erschwert, oder es verübelt, wenn er die Unmasse von Schulversäumnissen notirte, die schon bei einer einzigen Gemeinde innerhalb 2 Jahren auf 23.000 stiegen. Es kostete die kräftigsten Maßregeln der Bezirksbehörden, um die Ortsbehörden bei Bekämpfung dieses Unwesens zu unterstützen, das noch jetzt, bei der Entfernung so vieler isolirter Höfe von der Schule, bei den im Winter oft lange ungebahnten, im Frühjahr und Herbst grundlosen Wegen, bei der langen Abwesenheit handeltreibender Eltern u. s. w. nur gemindert, nie ganz gehoben werden kann. Entgegnen doch nicht selten die Eltern: „ihre Kinder müssen (mit ihren Besen oder Sandsäcklein und – gelegenheitlichem Bettel) das Brod in’s Haus schaffen.“

Auch in Beziehung auf die Tracht besteht ein merkwürdiger Unterschied in dem Bezirk. In der Oberamtsstadt hat bei den Professionisten der obligate Frack als Feierkleid den deutschen Rock, der runde Hut den dreieckigen verdrängt. Auch bei den Bauern und Weingärtnern verschwindet in Stadt und Land die ältere Volkstracht immer mehr; der runde Hut oder eine tuchene runde Stilpmütze tritt an die Stelle des Dreispitzes, die lange Tuchhose, im Sommer die leinene oder Zwilchhose an die Stelle der kurzen weiß oder schwarz ledernen, besonders durchweg bei den jüngeren Burschen; der lange hohe Stiefel weicht ebendamit dem kurzen. Den Rock vertritt bei den ledigen jungen Leuten und ebenso bei vielen älteren Männern – ausserhalb der Kirche etc. ein Tuchwams, meistens von blauer Farbe. Bei dem weiblichen Geschlecht ist fast keine Spur mehr von der älteren Volkstracht zu finden. Die Köpfe der Bürgersfrauen zieren künstliche weiße Hauben mit farbigen Bändern, die der Bauern- und Weingärtnersfrauen schwarze mit schwarzen Bändern. Die jüngern Mädchen erscheinen meist in bloßem Kopf mit aufgesteckten Zöpfen. Selbstgewobenes sog. Zeugle und Barchet ist den neumodischen leichteren, bunten Stoffen gewichen. Schwarzer oder auch farbiger Zeug wird

Empfohlene Zitierweise:
F. L. I. Dillenius: Beschreibung des Oberamts Weinsberg. Karl Aue, Stuttgart 1861, Seite 053. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:OAWeinsberg_053.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)