Seite:Oberamt Saulgau 197.jpg

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mit dem Jesuskinde im Arm. In dem Felde zur Seite ist eine Jahrzahl eingehauen, welche verschieden gelesen wird, ohne Zweifel aber MoC – Millesimo centesimo, also i. J. 1100, zu lesen ist. In dem Chor der Kirche befinden sich 2 Reihen geschnitzter Stühle, welche auf den Dienst einer zahlreichen Geistlichkeit schließen lassen.

An die Kirche ist eine Capelle angebaut, welche dem frommen Luibertus geweiht ist[1].

Eine Capelle, dem h. Antonius Eremita geweiht, steht am Ende des Dorfs. Die Pfarrey wird von einem Pfarrer und Pfarr-Caplan versehen; in die Pfarrey gehörte ursprünglich auch die Stadt Mengen, bis sich das Verhältniß umkehrte. S. Mengen. Dieser Wechsel veranlaßte wahrscheinlich die Stiftung von zwey neuen Caplaneyen, der Frühmesserey oder St. Nikolai-Caplaney, welche i. J. 1438 von der Maierschaft des Orts gestiftet wurde, und der Ottilien-Caplaney, welche der Erbtruchseß Eberhard von Sonnenberg i. J. 1479 stiftete. Später wurden beyde Caplaneyen vereinigt, aber in Folge einer von dem Pfarrer Rom in Arnach, einem gebornen Ennetacher, gemachten


  1. Dieser Luibertus, gemeiniglich das fromme Bäuerlein genannt, war ein Bauer Namens Fridolin Luib von Fulgenstadt. Nach der Erzählung ging er, nachdem er den Tag über hart gearbeitet hatte, gemeiniglich noch Nachts von Fulgenstadt aus in die Kirche zu Ennetach, um da seine Andacht zu verrichten. Wenn er ankam, öffneten sich ihm die Thüren von selbst, und öfters erschien ihm die Mutter Gottes und Christus als Hirte, um ihn zu trösten. Auf seinem Wege hatte er einmal das Wasser angeschwollen gefunden; er zog deßwegen einen Zaunstecken aus, um mit Hülfe desselben durchzukommen. Aber bey seiner Ankunft an der Kirche fand er die Thüren verschlossen. Er ahnte die Ursache, stellte den Zaunstecken wieder an seinen Ort, und fand nun bey seiner Rückkehr geöffnet. Luib hatte, so erzählt die Legende ferner, zwey Öchslein im Stalle, die er sehr lieb hatte, weil auch ein Öchslein an der Krippe Jesu gestanden hatte. Eines Abends fragte das eine Öchslein das andere: was werden wir morgen arbeiten? die Antwort war: unsern Meister zu Grabe führen. Luib hörte dieß, bereitete sich zum Tode, starb und wurde in einem Sarge auf seinen Wagen geladen und den Öchslein überlassen, die ihn vor die Kirche nach Ennetach führten, wo er begraben und über sein Grab nachher eine Capelle gebaut wurde.
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Johann Daniel Georg von Memminger: Beschreibung des Oberamts Saulgau. Stuttgart und Tübingen: J. G. Cotta, 1829, Seite 197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Oberamt_Saulgau_197.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)