Seite:Oberamt Welzheim 039.jpg

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und den Gästen werden Rosmarinsträuße gereicht. Im Zuge zur Kirche kommt zuerst die Braut, welche auch zuerst zum Altar tritt. Sobald das Paar die Stühle verläßt, tritt ein Befreundetes sogleich genau an die Stelle, welche der Fuß der zum Altar Tretenden bedeckt hat. Beide, die Braut zur Rechten, stellen, um böse Einflüsse zurückzuhalten, am Altar so nahe sich aneinander, daß man zwischen ihnen nicht hindurch sehen kann. Nach der Trauung folgt der Brauttanz, am Abend aber wird der Braut unter Musik der Brautkranz abgenommen. Findet in der Kirche zugleich eine Taufe Statt, was sehr gerne gesehen wird, so ist die Braut unter allen Umständen verbunden, dem Säugling ein Geschenk in das Kissen zu legen. Die Wirthe können schon bei ihrer Niederlassung und Hochzeit ihre ausgebreitete „Freundschaft“ bei der Wahl geltend machen; denn alle diese Freunde, d. h. Verwandte, sind ihre regelmäßigen Kunden mit Taufschmaus, Hochzeit und Leichentrunk, für Einkehr an Sonn-, Feier- und Fest-Tagen; da entscheidet nicht des Wirths Gewandtheit und Gefälligkeit, nicht einmal die Qualität der Speisen und Getränke. Zu diesen Zechen sind auch die Märkte mit Musikanten, die Nachkirchweih, die Versteigerungen, die größeren Kaufsverträge einzurechnen. Ja, im Orte der Mutterkirche sind die Sonn- und Feier-Tage, an denen die Filialisten vor und nach der Kirche einkehren und manchmal sitzen bleiben, förmliche Zechtage. So ist die Klage einer Bäuerin zu verstehen, daß sie nicht mehr hausen könne, seit ihr Mann – ein Filialist – alle Sonn- und Feier-Tage in die Kirche gehe. Zu Dank für Lob und Bewunderung seiner „Rechtschaffenheit,“ daß „er’s könne,“' daß „es der Wald ertrage,“ läßt der größere Bauer an Nebentischen geringere Gesellschafter trinken; da „bringt’s“ Einer dem Andern, und dieses Zutrinken ist meist die Ehrentaxation, die sich der Rechtschaffene, d. h Wohlhabende, viel kosten läßt. Außer diesen Zechen sind noch der Ostermontag und der Pfingstmontag große Trinktage. – An Vergnügungen fehlt es also dem jungen Volke gar nicht; in solch großen Parochien kommen jährlich 2–4 Märkte, in 4–6 Wirthshäusern Tanz und Musik, eine Kirchweih und 30–40 Hochzeiten vor. Dazu kommen sogenannte Komödien, Marionetten und Gaukler, die sich nicht selten in Tänze auflösen; Sommers an Sonn- und Feiertagen Kegelspiel, am Schlusse häufig Tanzmusik, Winters Karten und dazu die Lichtkarze. Selten gehen diese über Mitternacht dauernden Belustigungen ohne Prügeleien ab. Im Herbste, am Neujahr, bei Taufen und beim Mägdewandern wird das Pulver nicht gespart. Auch lieben sie es an Sonntagabenden auf der Landstraße spazieren zu gehen und zu singen. Wirkliche Volksfeste sind nicht eingeleitet; auf jene Vergnügungen aber wirken bereits da

Empfohlene Zitierweise:
Rudolph Friedrich von Moser: Beschreibung des Oberamts Welzheim. J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1845, Seite 039. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Oberamt_Welzheim_039.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)