Seite:Oskar Panizza - Der Illusionismus und Die Rettung der Persönlichkeit - Seite 25.jpg

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§. 10.

Ich könte die so gewonnene transzendentale Causa, mein metafisisches Prinzip recht gut Unterbewusstsein nennen, denn hinter oder unter mein Bewusstsein verlege ich – räumlich gesprochen – die Quelle meiner Eingebungen, meines Daseins; wenn nicht dieser Ausdruk bereits von den sog. Experimental-Psichologen im Sinne von etwas Bewusstem, oder Materjell-Funkzionellem, je nachdem, verwendet worden wäre, in welchem Sinn ich ihn unmöglich brauchen kann. Ich könte mein Prinzip ebensogut das Unbewusste nennen, wenn nicht auch dieser Ausdruk bereits, sogar filosofiisch, in der unverantwortlichsten Weise gemissbraucht worden wäre. Ich könte ebensowohl meine Sache Denken a prori oder reine Vernunft nennen, wenn nicht der Verwendung dieser Termini eine ganz genaue, hier nicht zwekdienliche, Auseinandersezung mit Kant vorausgehen müsste. Ich will sie aber Dämon nennen, einmal: weil ich damit den Begriff eines schaffenden, wirksamen, eingebenden, vordrängenden Prinzips verbinden möchte; zweitens: weil ich damit in Erinnerung an Sokrates den Charakter des Halluzinatorischen, oder halluzinatorisch sich Aeussernden verbinden möchte; drittens: weil ich den Begriff des Individuellen (hier, als Ausgangspunkt meiner Untersuchung[WS 1], des Genius-Artigen) damit verknüpfen will: denn mein Denken will ich erklären; nicht das der andern Leute; auf meine Eingebungen bin ich angewiesen, nicht auf die meiner Nebenmenschen. – Beileibe darf man aber darunter nichts Mytologisches im Sinne der alten Griechen, noch Teologisches im Sinne des Christentums verstehen. Sondern lediglich ein metafisisches Prinzip, für das Jeder sich einen ihm adäquater dünkenden Namen wählen könte. Ich könte es ebenso gut das Brahma nennen.[1]


  1. Bei der Niederschrift der vorliegenden Arbeit stosse ich zufällig auf ein älteres Schriftchen über indische Religion, und lese dort folgende Säze über Brahmaïsmus: „Man kann vom Brahma nicht sagen, was es ist. ,Das Auge, die Sprache, der Verstand kann es nicht erreichen. [26] Wir erkennen es nicht, wir sind nicht im Stande, jemanden über dasselbe zu belehren. Es ist verschieden von allem Bekannten und auch von allem Unbekannten’ (Kêna- oder Talava-Kâra-Upanischad I. 3.). Das Brahma ist Geist nur in dem niedrigsten (äussersten) Sinne des Wortes, nur insofern es nicht Stoff, sondern wesentlich Kraft ist, – es ist aber nimmermehr Geist als selbst-bewusstes, denkendes, wollendes Wesen, ist nicht Persönlichkeit; alle an solche geistige Prädikate anklingenden Bezeichnungen des Urwesens sind dem ganzen Zusammenhang des indischen Bewusstseins gemäss nur als bildlicher Ausdruck zu fassen, sind eine die Natureinheit verbergende Maske. – Die Welt ist eine Emanation aus dem Brahma. Ihre Elemente gehen hervor aus der Unwissenheit oder Täuschung. – Die Vedanta-Philosophie stellt im Vedânta-Sâra das Dilemma: Entweder existiert das Brahma und die Welt existiert nicht; oder die Welt existirt und das Brahma existiert nicht. Nun aber existirt das Brahma; also existirt die Welt in Wahrheit nicht. Das Unreale (der Welt) wird dem Realen (des Brahma) beigefügt durch Dafürhalten. Dies kommt von der Unwissenheit oder Täuschung. Durch diese Unwissenheit ist die Welt gebildet worden. – Der Philosoph, der ... seine Gedanken von der Aussenwelt ablenkt ... erkennt, dass alle Zweiheit Täuschung ist, dass alle Objekte in der Welt Brahma sind, dass er selbst Brahma ist. Subjekt und Objekt und die Beziehung zwischen denselben verschwindet.“ (Wurm, P., Geschichte der indischen Religion im Umriss dargestellt. Basel 1874, pag. 78. 80. 84-85. 118-119).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Untsuchung