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36. Die schöne Magdalene.


Es wohnte einmal in einem einsam liegenden Wirthshause eine Wirthin, die war eine Witwe und hatte eine Tochter, die hieß die schöne Magdalene. Die Jungfer aber war so hübsch im Gesichte, daß sich bald ein Liebster aus der Stadt einfand. Der wollte das Mädchen sobald als möglich freien, aber die Mutter, die noch in ihren besten Jahren war, hätte den Bräutigam gern selbst gefreit, und weil er nun immer so gern mit den schönen runden Armen ihrer Tochter spielte, so entschloß sie sich kurz und besprach sich mit dem Scharfrichter, daß der der schönen Magdalene die Arme abhauen solle, um sie dem Bräutigam dadurch zuwider zu machen. Die Mutter führte nun die Tochter in einen Wald, wo der Scharfrichter auf sie lauerte und der schönen Magdalene beide Arme abhackte. Während nun der Scharfrichter noch mit der Mutter die beiden runden Arme der schönen Magdalene im Rasen verscharrte, lief die von ihnen fort und verschwor sich, nie und nimmer wieder vor ihrer Mutter Augen zu kommen. So ging sie unter großen Schmerzen in der Waldung weiter. Endlich kam sie aus der Waldung heraus und gelangte an einen hohen Berg. An dem stieg sie hinauf, da erblickte sie oben ein Schloß und einen großen Schloßgarten. Sie ging auf das Schloß zu und suchte in den Schloßgarten zu gelangen, kam auch endlich über den Zaun und in den Garten. Als sie da herumging, stand der Prinz vor dem Fenster im Schlosse und sah ihre Schönheit, bemerkte aber zugleich, daß sie keine Arme hatte. Er rief seine Mutter herbei und sagte: Ei, Mutter, sieh einmal, was für ein schönes Weib in

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 122. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_122.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)