Seite:Proehle Kinder- und Volksmaerchen 180.jpg

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nicht ohne Noth gegen den Strom, darum hatten die Rathsherren denn nach den Sitzungen so ihren Zug in den Rathskeller und traten auch jetzt eben wieder herein während des Gespräches zischen dem Kaufmann und dem Wirth.

Der Wirth stand auf und setzte zuerst vor den Bürgermeister, dann aber vor jeden der Rathsherren ein Viertelchen hin. Hierauf nahm er wieder Platz und berichtete, daß der Kaufmann soeben mit ihm eine Wette eingegangen sei über die Treue seines Weibes, bei der Jeder von ihnen sein ganzes Vermögen einsetzen wolle. Als der Kaufmann das hörte, machte er große Augen. Denn freilich verschlug es ihm in seinen Gedanken nichts, wenn er einmal die Treue seines Weibes verloren hätte, die für ihn das Kostbarste auf der ganzen Welt war, auch noch dazu sein Geld und Gut einzubüßen. Aber er hatte seine Frau viel zu lieb, um sie so in Versuchung zu führen, wenn er auch sicher hoffen durfte, den Sieg davonzutragen und das Vermögen des Wirthes zu gewinnen.

Der Bürgermeister schüttelte den Kopf, als er von dieser Wette hörte. Wie nun aber auch der Kaufmann sagte: so sei es nicht gemeint gewesen, da fing der jüngste der Rathsherren zuerst an zu sticheln auf ihn, daß er seiner Sache bei seinem Weibe doch nicht sicher sei. Darauf stichelten auch die andern Rathsherren und zuletzt konnte sich selbst der Herr Bürgermeister eines Lächelns nicht erwehren. Bei solchen Gesprächen über die Weiber wird dann in der Regel ein Glas Wein mehr getrunken als gewöhnlich, und so geschah es, daß zuletzt der Kaufmann und der Wirth ihre Wette feierlich abschlossen, und daß der ganze Magistrat als Zeuge des Abschlusses sich verpflichtete, dafür zu sorgen, daß Derjenige, der die Wette verlöre, auch wirklich dem Andern sein ganzes Vermögen abtrete.

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_180.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)