Seite:Proehle Kinder- und Volksmaerchen 199.jpg

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Fenster sitzen sehen und käme, um sie zu werben, da war großer Jubel in dem Kaufmannshause und die Ladenjungen, die bei dem Kaufmanne im Geschäft waren, warfen die Ellen bis an die Decke des hohen Gewölbes empor vor lauter Vergnügen. Die Kaufmannstochter aber schlug den Goldschmied um den König von Marokko sogleich in den Wind. So wurde die Hochzeit gehalten, auf der Hochzeit aber war der König von Marokko lauter Holdseligkeit und Lustbarkeit, insonderheit erzählte er viel von seinen Reisen, wie auf der Reise von Zirizziko nach Zimezziko die Schiffe die Cholera bekommen hätten und wie gefährlich aber auch wie spaßhaft das gewesen sei. Allein nach der Hochzeit kroch der häßliche Schuster aus dem Gewande des Königs von Marokko hervor, wie ein Schmetterling aus seiner Puppe.

Als die schöne Kaufmannstochter am Morgen nach der Hochzeit erwachte, saß in der Brautkammer ein Ungeheuer da, das hatte eine schwarze schmierige Leinenschürze vor und hämmerte aus Leibeskräften auf ein Stück Leder. Anfangs rief sie um Hülfe; er aber meinte, sie solle nur ruhig sein und sprach: „Man kann ja nicht immer der König von Marokko sein.“ Die schöne Kaufmannstochter sagte zwar: wer Pech angreift, besudelt sich, und wollte ihn gern wieder los sein; allein er war nun einmal ihr Mann und blieb es, und so waren alle Drei an ihr gerächt, der Sattler, der Schneider und auch der Goldschmied, der ihr Augapfel gewesen war, den sie aber doch immer belogen hatte, sodaß er zuletzt seine besten Freunde halb todt schlagen mußte, und den sie auch sogleich vergessen hatte, als es hieß: da sei der König von Marokko, der wolle sie freien. Am Morgen nach der Hochzeit zogen der Goldschmied, der Sattler und der Schneider Arm in Arm durch die Straßen von Wien und da sangen sie unter den Fenstern der Kaufmannstochter wieder:

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 199. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_199.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)