Seite:Proehle Kinder- und Volksmaerchen A 014.jpg

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an einen Schwank in Boccaccio's „Dekameron“ erinnert, der folgende Ueberschrift führt: „Die Frau eines Arztes legt ihren schlaftrunkenen Liebhaber für todt in einen Kasten, welchen zwei Wucherer wegstehlen und nach Hause tragen. Dort erwacht er, und wird für einen Dieb gehalten. Die Magd der Dame sagt aber vor Gericht aus, sie selbst habe ihn in den Kasten gelegt, welchen die Wucherer gestohlen hätten. Auf diese Art entgeht er dem Galgen, und die Wucherer werden des gestohlenen Kastens halber zu einer Geldbuße verurtheilt.“ Der Kasten, der Arzt und die Magd - eine köstliche Rolle der Frau Günther-Bachmann in Leipzig - finden sich noch in der berliner Posse; der Ehebruch war beseitigt und klang nur noch in einer sehr komischen Scene mit der Frau des Arztes durch, welche auf einem Misverständnisse von Seiten dieser Dame beruht. Das Stück war übrigens nach dem Französischen selbständig gearbeitet, und er wird sich dort, da der Ehebruch jetzt in der französischen Literatur für die eigentliche Würze des Lebens gilt, vielleicht noch finden. - Auch die wiener Possendichter, Raymund und Nestroy, haben offenbar viele Märchenstoffe benutzt; so z.B. entspricht „Der böse Geist Lumpacivagabundus“ dem Grimm'schen Märchen Nr. 182: „Die Geschenke des kleinen Volkes“, und dem ersten Märchen im Anhange zu Emil Sommer's „Sagen aus Sachsen und Thüringen“ (1846), betitelt: „Der Berggeister Geschenke“. Die Musik und das Wirthshaus in den beiden Märchen, sowie der Name „meine Margret“ bei Sommer, und vielleicht auch der Ausdruck „angenehmer Gegenstand“ bei Grimm könnten freilich als Reminiscenzen aus der Posse in das Märchen gekommen sein. Im Uebrigen hat diese die Geschenke des kleinen Volks in das große Loos verwandelt.

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite XIV. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_A_014.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)