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Grunde sonst? Geld —? Das hat das Urteil nicht ausgesprochen. Es hat sich auf die allgemeine Diffamierung beschränkt, ohne sich über die Gründe näher zu äußern. Gäbe es eine Revisionsinstanz, so könnte auf Klarstellung gedrungen werden. Sagte mir ein politischer Gegner das, so würde ich Deutlichkeit verlangen, und wenn er sich drückte, ihn verklagen.

In keiner Phase des Prozesses ist von einem derartigen Motiv die Rede gewesen. Ebensowenig in der Urteilsverkündung vom 23. November. Erst vier Wochen später in dem definitiven Urteil ist eine dunkle ehrabschneiderische Andeutung enthalten, ohne daß das Gericht sich bemühte, auch nur ein einziges argumentierendes Wort dafür anzuführen. Juristen mögen beantworten, ob es statthaft ist oder auch nur Brauch, in das schriftliche Urteil eine Bewertung der Angeklagten und ihrer Handlungen hineinzubringen, die bis zum Verhandlungsschluß überhaupt keine Rolle spielte oder in der mündlichen Verkündung noch nicht existierte. Hat das Gericht post festum eine Erleuchtung, was schließlich denkbar ist — darf es die als neues und umwertendes Moment in seinem Urteil verwenden, ohne einen völlig neuen Fall zu schaffen? Ich wage als juristischer Laie keine Meinung darüber zu haben. Aber als Kenner der Presse muß ich sagen, daß das höchste Gericht, Obergericht auch für Pressedelikte, indem es eine düstere infamierende Kennzeichnung auf den Weg gibt, ohne die Beschwerlichkeiten einer Motivierung auch nur zu versuchen, sich damit einer Methode bedient, die, aufs Journalistische übertragen, einer höchst bedenklichen Übung den Weg weisen würde.

Immer wieder bin ich durch den Zwang gehandicapt, über die Prozeßmaterie selbst zu schweigen. Ich kann also nur auf Äußerlichkeiten Bezug nehmen, die allerdings sehr geeignet sind, ein Bild zu geben, wie es zu dieser Justifikation kam.

Jeder Kenner der Justiz weiß, daß Gerichte, die nicht völlig im Mittelalter stecken geblieben sind, heute die besondere Art eines Angeklagten, sein Milieu, seine Tätigkeit, die Quellen seiner Willens- und Meinungsbildung mehr als früher berücksichtigen. Obgleich Herr Reichsgerichtsrat Baumgarten, der Vorsitzende des Vierten Strafsenats, die Verhandlungen in ungewöhnlich urbanen Formen führte, hatte er doch eine in langer Übung ausgebildete Methode, über das hinwegzuhören, was die Angeklagten sagten und was sie über sich selbst auszusagen genötigt waren. Herr Baumgarten ging daran mit einer für die Angeklagten höchst unerfreulichen Technik vorbei. Dieser sehr höfliche Herr erweckte von der ersten Minute an den Eindruck, nicht nur seine Linie sondern auch schon seine abgeschlossene Meinung zu haben.

Wenn ich über mich selbst erzählen soll, so kann ich anführen, daß ich seit zwölf Jahren in der Redaktion großer

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Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_10.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)