Seite:Reventlow Werke 0514.png

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und wagte sich mit Detlev an der Hand in das Gewühl. Vor einer Schießbude traf sie ihren alten Freund Klaus Sörens, und das Wiedersehen erfüllte sie mit großer Seligkeit. Er kaufte ihnen Lebkuchenherzen, ließ sie Karussell fahren und zeigte ihnen alles, was zu sehen war. Besonders von den Seiltänzern waren sie nicht wieder wegzubringen, denn da waren fünf kleine Jungen, die sich in der Luft überschlugen und auf Kniestelzen tanzten. Neben dem Zelt stand ein grüner Wagen mit Blumenstöcken in den Fenstern — darin wohnten sie, sagte Klaus, und fuhren von einem Ort zum andern. In Ellen zuckte es förmlich — wie mußten die glücklich sein! Die ganze übrige Welt war für sie versunken und vergessen; es war nur gut, daß Klaus sie schließlich nach Hause schickte.

Und nun kam ein jäher Sturz aus allen Himmeln. Vor der Gartentür stand Mama: „Um Gottes willen, wo habt ihr die ganze Zeit gesteckt?“

Detlev war so begeistert, daß er sich gleich verschwätzte, und Ellen sah ein, daß lügen nichts half. Aber erzählen wollte sie auch nicht, es war nichts aus ihr herauszubringen, nicht einmal mit Schlägen. Wie immer, mußte sie selbst die Rute holen, die unter dem Klavier auf einem niedrigen Notenpult lag. Während sie in das Halbdunkel unter dem Instrument hineinkroch, tanzten immer noch die bunten Bilder von der „Freiheit“ vor ihren Augen. Dann ließ sie die Strafe über sich ergehen und biß die Zähne zusammen, um nicht zu schreien. Den Triumph sollte Mama nicht haben, die jedesmal ganz außer sich geriet über diesen stummen Eigensinn. Für den Rest des Tages wurde Ellen in die Kinderstube geschickt. Das Mädchen war ausgegangen, sie saß ganz allein in einer Ecke und sann Rache. Sie war wütend auf Detlev, der nie den Mund halten konnte — und daß immer alles Schöne verboten war — und Mama — nicht einmal die Hunde bekamen so viel Prügel. — Mama hatte wohl die Hunde auch viel lieber.

Das war nicht mehr auszuhalten, ihr Gesicht glühte vor Zorn und Aufregung. Immer nur Schelte

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0514.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)