Seite:Reventlow Werke 0552.png

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Heidehügel glühten. Allmählich losch alles wieder aus und nun wurde es rasch dunkel, die einzelnen Gestalten auf dem Deich sahen aus wie schwarze Silhouetten.

„Wenn man das malen könnte,“ sagte Ellen, „überhaupt malen können, alles, was es gibt.“

Detlev lachte: „Immer noch Vogelbauer, Ellen! Du bist doch noch geradeso wie früher.“

„Ja, aber ich werde meine jetzigen Vogelbauer doch noch einmal zusammenkriegen, darauf könnt ihr euch verlassen.“

Sie gingen jetzt rasch den Deich entlang und sprachen von der großen Sturmflut vor acht Jahren. Es war die lange gerade Strecke, wo damals der Deich beinah gebrochen und nur einen Meter breit stehengeblieben war. Wie da die haushohen Wellen herüberschlugen und die Menschen, die sich hinauswagten, wie Papierfetzen herumflogen. — Dann kam das rote Deichwärterhaus mit dem kleinen, sonnenverbrannten Garten, der Bootschuppen, das Dock, wo alte Schiffe zum Ausbessern lagen. Dicht beim Hafen begegneten sie vielen Spaziergängern, immer die gleichen, die jeden Abend hier herausgingen, all die bekannten Gesichter aus der kleinen Stadt. Das Grüßen nahm kein Ende, hier und da mußten sie auch stehenbleiben und ein paar Worte sprechen, bis sie endlich in die schmalen Hafenstraßen einbogen, über den Markt unter dem Rathausbogen durch und schließlich die dunkle Kastanienallee zum Schloß gingen.


Ein paar Tage später, als Ellen zur Stadt war, ging die Mutter in ihr Zimmer hinauf: „Ich muß doch einmal sehen, was sie da immer treibt, wenn sie allein ist,“ dachte sie. — Ellen hatte vergessen wegzuräumen, da standen drei Bilder von Editha mit Blumen davor, auf dem Tisch lag ein langer, angefangener Brief an die Freundin, der bittren Weltschmerz atmete und endlose Klagen über Ellens elendes Los. Und daneben ein dickes, ledernes Buch mit selbstgeschriebenen Gedichten, das die Mutter noch nie gesehen hatte. Sie nahm es mit ins Wohnzimmer, setzte ihre Brille auf und las den ganzen

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0552.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)