Seite:Reventlow Werke 0612.png

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„Wenn Sie umkehren in aufrichtiger Reue, sich willig in alles ergeben, was zu Ihrem Heil beschlossen wird — dann, aber nur dann wird Ihre Mutter Sie wieder als ihr Kind aufnehmen,“ so hatte der Hauskaplan heute noch einmal zu ihr gesprochen. — Wie schneidender Hohn kam es ihr vor, daß diese Mutter jetzt da drinnen unter ihren Kindern saß, mit ihrer gewohnten Stimme sprach — hier und da klang ein Wort zu ihr herüber. Und sie stand hier draußen und konnte nicht umkehren. — Aber die ganze Welt schien ihr so weit und leer und tot — wo gehörte sie denn hin, wohin würde sie treiben?

Jetzt standen sie da drinnen auf, Stühle wurden gerückt, die Stimmen gingen durcheinander, dann wurde es dunkel, die Fenster verloschen.

Ellen stand immer noch unbeweglich und sah starr darauf hin. Nun ging ein Lichtschein durch die oberen Zimmer und allmählich erlosch auch der. Im Hof schlug der Hund an, als ein paar Menschen vorüberkamen — ihr alter Nero.

Langsam zog sie die Hände vom Gitter zurück, sie waren wie angefroren an dem feuchten, kalten Eisen, und schauerte zusammen in der Nachtkühle und der leeren Straßeneinsamkeit. —

Tags darauf kam Ellen unerwartet und unangemeldet bei ihrer Freundin Lisa an, und die erschrak beinahe über ihre völlige Teilnahmlosigkeit. Ellen lag tagelang oben in ihrem Zimmer und schlief, sie dachte nicht mehr daran, in ihre Stellung zurückzukehren, oder was sonst geschehen sollte. Wenn Briefe kamen, ließ sie dieselben ungelesen liegen, ihr war, als ob alles in das Grab ihres Vaters und ihrer Heimat versunken wäre.

Als Reinhard Laurenz dann hörte, daß sie wieder da war, kam er gleich. Fast mit Gewalt zog er sie mit hinaus in die Sommersonne, auf weite Spaziergänge und brachte sie allmählich wieder zum Erwachen. Immer wieder sprach er ihr von der Zukunft, die so licht und froh für sie werden sollte, daß alle dunklen Schatten weichen mußten. Sie sollte sich wieder auf ihre Jugend und ihre Ziele besinnen,

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0612.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)