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Es dauert nicht lange mehr, so weiß es alle Welt, die Leute im Hause, in den Läden, wo ich täglich einkaufe, an denen ich vorübergehe, alle werden mich anstarren, mein Geheimnis herumzerren.

Mein Gott, bin ich feige —, aber ich möchte nur fort von hier, weit fort, wo mich niemand kennt.

Dabei der ewige Kampf mit der äußeren Not, mit den Schulden, die sich immer höher türmen. Der Hausbesitzer will mich vor die Tür setzen, denn die Miete steht seit einem Vierteljahr aus. Alle paar Tage kommt er herüber, in der Soutane und mit seinem Rosenkranz, denn er ist Priester. Auf meiner Staffelei steht ein angefangenes Porträt vom letzten Winter; ich vertröste alle, die um Geld kommen, darauf, daß ich für das Bild sehr viel bekommen werde. — — So geht es von Tag zu Tag.

Inzwischen hat sich auch wieder ein kleiner Kreis von Bekannten gesammelt, denen es ähnlich geht — Ateliernachbarn und andere. Wir haben einen gemeinsamen Mittagstisch bei mir, sie kommen zu allen Tageszeiten, machen Musik und Lärm und versuchen mich aufzuheitern, wenn ich traurig bin.

Und abends Bel-ami — ich habe es ihm gesagt. Er sieht sich in meinem Atelier um: ‚Ja, um Gottes willen, was wollen Sie denn mit einem Kind anfangen?‘ Dann redet er davon, daß es meine Lage nach allen Seiten hin erschweren würde, und daß es doch eigentlich ein Verstoß gegen den guten Ton sei. — Er hat sich so viel Mühe gegeben, mich etwas zu erziehen. Ich lache wohl, aber mir ist das Herz so voll, daß ich kein Wort herausbringe von allem, was ich sagen wollte.“


2. April

„An Reinhard geschrieben — ich konnte es nicht lassen. Bis vor einem halben Jahr haben wir immer noch Briefe gewechselt — jetzt schweigt er schon lange.

Aber es war wie ein vermessener Glaube in mir, daß er vielleicht jetzt wieder mein Freund sein könnte, mir selbst kommt die ganze Welt so verwandelt vor — in einem ganz neuen, weicheren Licht.

Empfohlene Zitierweise:
Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0696.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)