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kein Ende wurde, verfielen die Hausbewohner auf eine List. Sie füllten ein Faß mit Essig, taten etwas Spiritus und eine tüchtige Quantität Pfeffer und Senfsamen hinzu, und dieses Gebräu, das jede gewöhnliche Kehle wie Feuer verbrannt haben würde, tranken die Kosaken als Schnaps, lobten es sehr und befanden sich wohl dabei. Aber gottesfürchtige Leute waren sie auch; denn wenn sie im Hause einen besonderen Schelmenstreich ausführten, so bedeckten sie erst dem an der Wand hängenden Kruzifix die Augen, damit Gott die Sünde nicht sehen möchte.

Solche und viele andere Geschichten wurden wieder und wieder erzählt, und sie wuchsen und breiteten sich aus, wie ich meinem Großvater mit Fragen zusetzte. Daran ließ ich es dann auch nicht fehlen. Meine Lust an diesen Erzählungen war so groß und meine Wißbegierde so lebhaft, daß ich, ehe ich zu lesen anfing, von den französischen Kriegen einen so guten Begriff bekam, wie die Berichte meines Großvaters und meines Vaters ihn mir geben konnten.

Abends wurde des Großvaters Lehnstuhl an den Tisch gerollt, wo dann irgend ein Mitglied der Familie mit ihm Karten spielte. Aber der Abstand von seiner früheren Tätigkeit war zu groß. Er verlor nach und nach seinen frohen Mut, und obgleich er sich Mühe gab, zufrieden zu scheinen und den Seinigen nicht zur Bürde zu werden, so war doch das alte heitere Leben und Treiben der Burg, dessen Seele er gewesen, für immer dahin. Bald stiegen auch noch andere dunkle Wolken von Sorge und Unglück auf.






Zweites Kapitel.

Elternhaus und Heimatdorf. Die ersten Schuljahre.

Ehe ich sechs Jahre alt war, nahm mein Vater mich in die Dorfschule. Ich erinnere mich, daß ich früh lesen und schreiben konnte, aber nicht, wie ich diese Künste gelernt habe. Viel hatte ich dem Unterricht zu danken, den ich außer der Schule zu Hause empfing. Ich hatte kaum ein Jahr lang die Dorfschule besucht, als mein Vater sein Schulmeisteramt aufgab. Dasselbe war elend bezahlt und konnte die Familie, die unterdessen um zwei Mitglieder, meine Schwestern Anna und Antoinette, gewachsen war, nicht mehr ernähren. Mein Vater fing nun eine Eisenwarenhandlung an, für die ein Teil unseres Hauses, der früher als Kuhstall gedient hatte, den Ladenraum lieferte. Es war nur ein kleines Geschäft, aber mein Vater hoffte doch, daß dessen Ertrag hinreichen werde, die Ausführung gewisser ehrgeiziger Zukunftspläne zu ermöglichen. Wie so manche, die einen Wissens- und Bildungsdrang in sich fühlen, dem nur geringe Befriedigung geworden ist, so hegte er den Wunsch, daß seinen Kindern durch eine gute Erziehung dasjenige werden solle, was ihm selbst das Schicksal versagt hatte. Mich bestimmte er schon frühzeitig zum „Studieren“ – das heißt, ich sollte, sobald ich das erforderliche Alter erreicht, das Gymnasium und später die Universität besuchen und mich einem gelehrten Fachstudium widmen. Da ich jedoch von dem Gymnasialalter noch mehrere Jahre entfernt war, so blieb ich vorläufig noch in der Dorfschule.

Aber die Erziehung, die über das dort übliche Maß hinausging, begann doch sehr früh. Wir Kinder sollten alle Musik lernen, ich zuerst;

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 011. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s011.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)