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Pachtzinse waren billig, und gab es einmal schlechte Ernten, so zeigte sich der Graf zu einer Ermäßigung bereit. Waren die Ernten besonders reichlich, so freute er sich über seiner Pächter Wohlstand und schraubte die Pachtzinse nicht hinauf. Der alte Rentmeister, dessen ich mich wohl erinnere, sah zwar grimmig genug aus, führte aber die Geschäfte im Geiste seines Herrn. So waren denn bis dahin die geschäftlichen Angelegenheiten ihren Gang gegangen in beiderseits befriedigender Gemütlichkeit. Überdies war das Verhältnis zwischen dem alten Grafen und meinem Großvater befestigt gewesen durch die gemeinsame Erinnerung an die harten und gefahrvollen Jahre der französischen Zeit, während welcher der Graf unter zuweilen sehr schwierigen Umständen die Sorge für seinen Stammsitz meinem Großvater hatte überlassen müssen.

Freilich mußte der Standesunterschied zwischen dem Grafen und dem Pächter immer im Auge behalten werden. Mein Großvater war ein nach damaligen Begriffen ziemlich wohlhabender Mann, der sich wohl einige Bequemlichkeit hätte gestatten können. Aber ich hörte im Familienkreise nicht selten darüber sprechen, daß, wenn dieses oder jenes geschähe, es im gräflichen Hause wie eine Anmaßung erscheinen und Ärgernis erregen möchte. So durfte der Halfen, um damit zur Stadt, oder zu Besuchen, oder zu den festlichen Gelegenheiten des Landes zu fahren, sich eine zweirädrige Chaise halten, aber keinen vierrädrigen Wagen. So mochten auch die Frau und die Töchter des Halfen hübsche Mützen und Hauben tragen, mit immer so kostbaren Spitzen geziert, aber keine städtischen Damenhüte. Der Graf pflegte, wenn er seine Treibjagden hielt, meinen Großvater und seine Söhne, sowie die Honoratioren des Dorfs, z. B. meinen Vater, dazu einzuladen. Ich erinnere mich deutlich, den stattlichen alten Herrn gesehen zu haben, wie er zu Fuß mit seiner Gesellschaft in den Wald zog – er selbst im grauen Jagdrock, mit einem altmodischen Feuersteingewehr bewaffnet – denn solch neuen Erfindungen, wie Perkussionsschlössern und Zündhütchen, traute er nicht. Seine nicht adligen Gäste behandelte er dann aufs freundlichste. Aber als mein Großvater selbst in der Nähe eine Feldjagd pachtete, um seine eigenen Hasen und Rebhühner zu schießen, so hieß es, man sei doch im gräflichen Hause im Zweifel, ob der Burghalfen damit nicht ein wenig zu weit gegangen sei. Indes blieb es bei dem heimlichen Zweifel bewenden. Im ganzen war die gräfliche Familie dem Burghalfen und den Seinigen stets höchst liebenswürdig gewesen. Die alte Gräfin galt zwar für stolz, aber auch dies verhinderte nicht, daß man ohne besondere Förmlichkeit miteinander verkehrte. Wir Kinder wurden freundlich zum Weihnachtsbaum eingeladen und beschenkt; und wenn es in der Familie meines Großvaters einen Krankheitsfall gab, so zeigte die gräfliche Familie stets die wärmste und werktätigste Sorge, wie für Menschen, denen man mit freundschaftlichem Interesse zugetan ist. Auch machten sich die Söhne des Grafen nicht selten mit den Söhnen des Burghalfen zu tun, und bei festlichen Gelegenheiten tanzten sie lustig mit den Töchtern.

In dieses althergebrachte gute Einvernehmen klang der Streit über den Schullehrer, an welchem die gräfliche Familie – ich weiß nicht mehr warum – einen lebhaften Anteil nahm, wie ein jäher, häßlicher

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 023. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s023.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)