Seite:Schurz Lebenserinnerungen b1 s031.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

setzte sich nach dem Dorfe zurück in Bewegung, Tambour und Fahne voran, Hahnen Drickes mit seinen Säbelbeinen die wunderlichsten Zickzacklinien ziehend und auf seinem Instrument die seltensten Rhythmen hervorzaubernd, während der junge Fänt, nun auch in gehobenster Stimmung, im Gehen seine Kraftstücke wieder und wieder versuchte, und die Schützen den Triumphmarsch durch fortwährendes Büchsenknallen verherrlichten. Und stolz war der Knabe, dem ein Schütze sein Gewehr anvertraute, um dabei mitzuwirken. Dann kam das „Königsessen“ in einem Wirtshaus, bei welchem der neue Schützenkönig den alten und die Vorsteher der Brüderschaft mit Schinken, Weißbrot und Wein bewirtete, und endlich abends ein Tanz, zu dem ursprünglich nur die Trommel aufgespielt hatte, zu meiner Zeit aber schon durch ein Orchester ersetzt, das aus wenig mehr als einer Violine, einer Klarinette und einem Brummbaß bestand.

Mir ist das Fest des Vogelschießens mit all seinen Einzelheiten so lebhaft im Gedächtnis geblieben, weil es mich zum ersten Male die Regung eines wirklichen Ehrgeizes kennen lehrte. Es war das große öffentliche Kampfspiel der Welt, in der ich lebte; und wenn ich den Sieger in dem Kampfe sah mit der glänzenden Schilderkette geschmückt, wie ihn die jubelnde Menge umdrängte und mit Hochrufen ins Dorf zurückführte, so kam es mir vor, als werde es etwas Großes sein, diese Ehre auch einmal für mich zu erringen. Mehr als einmal sollte mir dieses Glück werden in späterer Zeit, als ich es nicht mehr so hoch anschlug.

War so der Sommer an Freuden reich, so war es der Winter nicht weniger. Er brachte nicht allein Eisbahn und Schneeballkämpfe, sondern mir auch den ersten Kunstgenuß. Von allen freudigen Aufregungen meiner Kindheit übertraf keine die, in welche die Ankunft des Puppentheaters in Liblar mich versetzte; die Begierde, mit welcher ich den Ausrufer begleitete, der mit Trommelschlag die Bewohner des Dorfes an die Türen lockte, um dem verehrten Publikum das bevorstehende Schauspiel anzukündigen; die Angst, es möchte mir nicht erlaubt werden, das Theater zu besuchen; die Ungeduld, bis die große Stunde endlich kam. Die Bühne war in einem kleinen Saal aufgeschlagen, wo es sonst zuweilen Tanzvergnügen gab. Die Sitzpreise reichten von vier Pfennigen für Kinder auf dem geringsten Platz bis zu einem Kastenmännchen, 2½ Silbergroschen, für die vordersten Bänke. Einige Talgkerzen bildeten die Beleuchtung. Aber die Mitte des dunklen Vorhanges, der uns die Mysterien der Bühne verbarg, war mit einer Rosette von Ölpapier in verschiedenen Farben geschmückt, die, von hinten mit einer Lampe beleuchtet, hell und bunt erglänzte und mir den Eindruck des Geheimnisvoll-Wunderbaren gab. Ein Schauer der Erwartung überlief mich, als endlich eine Schelle dreimal erklang, tiefe Stille im Saal eintrat, und sich der Vorhang erhob. Die Szene war mit mehr oder minder perspektivischen Kulissen eingerichtet und die Figuren wurden von oben mit Drähten geführt. Das erste Stück, das ich sah, war „die schöne Genovefa“. Es war ein herrliches Stück. Die schöne Genovefa ist die Gemahlin des Landgrafen Siegfried. Der Graf will ins heilige Land ziehen, um das

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 031. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s031.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)