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Bette. Meine Mahlzeiten mußte ich an demselben Tische nehmen mit den Gesellen, wie das auch der Meister und die Frau Meisterin taten. Bei Tisch hielt der Meister auf strengen Anstand; er selbst führte da das Wort, und höchstens der Altgeselle durfte einmal mitsprechen. Meine Lektionen studierte ich in dem Wohnzimmer der Familie, wo ich jedoch an Werktagen gewöhnlich allein blieb. Gesellige Berührung mit Leuten von Bildung hatte ich außerhalb der Schule nicht; aber die Schule selbst brachte mich unter sehr wünschenswerte Einflüsse.

In unsern Tagen wird die Frage, was in den Gymnasien und ähnlichen Anstalten gelehrt werden sollte, vielfältig diskutiert. Ich werde später darauf zurückkommen. Aber die Frage des Lehrplanes halte ich keineswegs für die einzig wichtige, vielleicht nicht einmal für die wichtigste. Was man in der Schule lernt, ist doch natürlich nur wenig, nur ein geringer Teil dessen, was man für eine fruchtbare Wirksamkeit im Leben zu lernen hat. Es kommt daher besonders darauf an, daß das in der Schule Gelehrte, was es auch sein mag, in einer Weise gelehrt werde, die bei dem lernenden Schüler die Lust des Lernens weckt und anregt und ihn in den Stand setzt, die Mittel des selbständigen Weiterlernens, soweit sie ihm erreichbar sind, leicht zu finden und mit Geschick und Erfolg zu benutzen, mit einem Wort, daß der Schüler in der Schule das Lernen lernt. Dies erfordert dann nicht allein richtige, auf diesen Zweck berechnete Lehrmethoden, sondern auch eine besondere individuelle Fähigkeit des Lehrers, die Fähigkeiten des Schülers zu erkennen, in Tätigkeit zu setzen und zu lenken. Gerade in diesem Punkte bin ich während meiner Lehrjahre auf dem Gymnasium in Köln ungemein begünstigt gewesen.

Der Ordinarius der Sexta war zu meiner Zeit ein junger Westphale, Heinrich Bone, dessen ich mit besonderer Dankbarkeit gedenken muß. Er hat sich später auch in weiteren Kreisen als Lehrer einen nicht unbedeutenden Namen gemacht. Er gab uns neben dem lateinischen auch den deutschen Unterricht, und wenn ich in meinem spätern Leben den Grundsatz festgehalten habe, daß Klarheit, Anschaulichkeit und Direktheit des Ausdrucks die Haupterfordernisse eines guten Stiles sind, so habe ich das in großem Maße den Lehren zu verdanken, die ich von Bone empfing. Statt uns fortwährend mit trockenen grammatischen Regeln zu quälen, ließ er uns sogleich kleine deutsche Aufsätze anfertigen, nicht etwa über solche Gegenstände wie die „Schönheit der Freundschaft“, oder den „Nutzen des Eisens“, sondern zuerst kurze Beschreibungen gesehener Dinge, eines Hauses, einer Baumgruppe, eines Stadttores, eines Bildes und dergleichen mehr. Diese Beschreibungen hatten wir anfänglich in den allereinfachsten Satzformen zu halten, ohne irgendwelche Verwicklung oder Verzierung. Der wichtigste Grundsatz aber, den er uns mit besonderem Nachdruck einschärfte, war dieser: Jedes Hauptwort, jedes Eigenschaftswort, jedes Zeitwort mußte eine mit den Sinnen wahrgenommene Sache, Eigenschaft oder Handlung ausdrücken. Alles Verschwommene, Abstrakte, nicht sinnlich Wahrgenommene war fürs erste streng ausgeschlossen. So wurden wir denn gewöhnt, zuerst uns unserer sinnlichen Wahrnehmungen und Eindrücke klar zu versichern, und dann dieselben in klarster, bestimmtester und einfachster

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 035. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s035.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)