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Frauen und Mädchen an dem durch das Dorf fließenden Bächlein saßen, ihr Blech- und Zinngeschirr blank scheuernd; und der Professor setzte hinzu: „Das ist nun ein klassischer Satz.“ Er faßte eine warme Zuneigung zu mir und lud mich ein, ihn auf seinem Zimmer zu besuchen. Damals war er mit der Zusammenstellung eines deutschen Lesebuches für den Gymnasialunterricht beschäftigt, für das er selbst eine Reihe kleiner Beschreibungen und Geschichten als Muster seiner Methode schrieb. Mehrere davon las er mir vor und forderte mich, wahrscheinlich um sich des Eindrucks auf den Geist des Schülers zu vergewissern, zur Kritik auf, die ich dann mit Freimut, wenn auch nicht ohne Schüchternheit, ausübte. Er erwies mir sogar die Ehre, zwei oder drei meiner eigenen kleinen Schulaufsätze, in denen er seine Lehre am treuesten befolgt fand, ohne wesentliche Änderung seinem Buche einzufügen. Einen davon, den ich in der Sexta geschrieben, will ich hier mitteilen, wie ich ihn in der dreiundfünfzigsten Auflage des Lesebuches, die ich mir aus Deutschland habe kommen lassen, vor mir sehe. Es ist eine Jagdszene:

„Berge und Felder waren mit glänzendem Schnee bedeckt; der Himmel trug das rosige Kleid der Morgenröte. Da sah ich drei Jäger, welche unter einer hohen Eiche standen. Die größeren Äste des Baumes trugen eine schwere Last Schnee, die kleineren waren mit Reif behangen. Die Kleider der Jäger hatten eine hellgrüne Farbe und waren mit blanken Knöpfen besetzt. Zu ihren Füßen lag ein großer Hirsch, dessen rotes Blut den weißen Schnee färbte. Drei dunkelbraune Hunde saßen um den toten Körper und ließen die roten Zungen lechzend hervorhängen.“

Dies illustriert Bones Methode, sowie meine Auffassung derselben. In dem Lesebuche blättere ich oft, und dann steigt mir das Bild mancher schönen Abendstunde auf, die ich mit meinem verehrten Lehrer in anregendem Gespräch verbrachte. Nicht wenige dieser Stunden benutzte er dazu, meine Lektüre zu leiten und mich besonders mit den Schönheiten der älteren deutschen Dichter bekannt zu machen. Ich selbst versuchte mich früh im Verseschreiben und war in Gefahr, eine gute Meinung von meinen poetischen Inspirationen und meiner Geschicklichkeit im Ausdruck zu gewinnen, als ich eines Tages meinem Lehrer eins meiner Erzeugnisse vorlas, ohne mich als Verfasser zu bekennen, und er sagte: „Das Gedicht klingt ja, als ob es von Claudius wäre, aber ich kenne es nicht.“

Auch trieb mich Bone an, Geschichtliches zu lesen. Ich besaß Beckers vielbändige Weltgeschichte. Diese las ich ganz durch und begann darauf, das wieder zu lesen, was mich besonders interessiert hatte. So wurde ich durch die in dem Beckerschen Werke gegebenen Auszüge zuerst mit dem Homer bekannt. Diese Auszüge, in gefälliger Prosa geschrieben, stachelten meine Begier, davon mehr zu sehen, so sehr an, daß ich mir die Übersetzung der Iliade und der Odyssee von Voß verschaffte. Nie hatte mich bis dahin, und ich glaube, nie hat mich seither eine Dichtung so gewaltig gepackt, wie der Abschied Hektors von Andromache am skäischen Tor, da der Held den kleinen Astyanax auf seinen Arm nimmt und die Götter anruft; – wie das Niedersinken des

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 037. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s037.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)