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deutsche Volk zu den Waffen rief und ihm zugleich eine neue und wehrhafte nationale Einigung und Beteiligung des Volkes an dem Geschäfte des Regierens in konstitutionellen Formen in Aussicht stellte. Die Wiedergeburt eines einigen deutschen Nationalreichs, Aufhören der absoluten Willkürherrschaft durch Einführung volkstümlicher Regierungsinstitutionen im Innern – das war das Versprechen des preußischen Königs, wie das Volk es verstand –, das war die Hoffnung, mit der das Volk in den Kampf ging, den es dann mit begeistertem Heldenmut und einer Opferwilligkeit ohne Grenzen siegreich durchkämpfte.

Aber mit dem Siege kam wieder eine Periode bitterer Enttäuschung. Gegen eine einheitliche Reichsverfassung Deutschlands erhob sich nicht nur die Eifersucht des außerdeutschen Europa, sondern auch die Souveränitätsgelüste der kleineren deutschen Fürsten, besonders derer, die als Mitglieder des Rheinbundes in ihrem Range erhöht worden waren; und dazu die selbstsüchtig intrigierende Politik Österreichs, das mit seinen außerdeutschen Besitzungen einen außerdeutschen Ehrgeiz hatte, oder vielmehr von einem außerdeutschen Eigennutz inspiriert wurde. Und diese österreichische Politik wurde geleitet von dem Fürsten Metternich, dem jede Regung deutschen Patriotismus ebenso fremd war, wie er jeden freiheitlichen Gedanken haßte und das Volk als solches fürchtete. So brachten denn die Friedensschlüsse dem deutschen Volk nicht annähernd den verdienten und gehofften Lohn für seine Opfer, und aus dem Wiener Kongreß, der, um Europa auf unabsehbare Zeit eine feste Gestalt zu geben, den Völkerschacher im großen betrieb, ging für die deutsche Nation nichts hervor, als ein Allianzvertrag zwischen den deutschen Staaten, „der deutsche Bund“, mit seinem Organ, dem „Bundestag“, einer Versammlung der Bevollmächtigten der verschiedenen Regierungen ohne die geringste Spur einer Vertretung der Stände oder des Volks. Von einer Garantie und Verwirklichung bürgerlicher Rechte, Preßfreiheit, Versammlungsrecht, öffentlicher Rechtspflege war nicht die Rede. Im Gegenteil, der Bundestag, ohnmächtig als eine Vertretung der Nation nach außen, entwickelte sich nur zu einer gegenseitigen Versicherungsgesellschaft absolutistischer Regierungen, zu einer zentralen Polizeibehörde für die Unterdrückung jeder nationalen oder freiheitlichen Regung im Innern.

Der König von Preußen, Friedrich Wilhelm III., hatte unzweifelhaft die in den Tagen der Not und des nationalen Aufschwungs gemachten Versprechen ehrlich gemeint. Aber seine beschränkte Hausvaternatur, sich selbst eines redlichen Willens bewußt, war leicht geneigt, eine möglichst unbeschränkte Autorität seinerseits als notwendig für das Heil der Welt anzusehen. Jedes Streben im Volke nach freien Staatseinrichtungen stellte sich ihm als ein Angriff auf diese absolute Autorität und somit als ein revolutionärer Exzeß dar, und die bloße Äußerung des Wunsches, daß die 1813 gemachten Versprechungen erfüllt werden sollten, war ihm, da er darin eine rebellische Anmaßung des Untertanen sah, Grund genug, diese Erfüllung aufs Ungewisse hinauszuschieben. So wurde er, unbewußt vielleicht, zum Werkzeuge Metternichs, des bösen Genius Deutschlands. Das Ergebnis war eine Periode stupider Reaktion, eine Periode von Ministerkonferenzen zur Vereinbarung despotischer

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 071. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s071.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)