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von allem, was in der politischen Welt vorging, wohl unterrichtet zu halten und daran einen regen Anteil zu nehmen. So fanden denn die liberalen Bewegungen der Zeit in uns begeisterungsfähige Parteigenossen, wenn auch wir jungen Leute über das, was praktisch zu tun sei, nicht besonders klare Rechenschaft zu geben wußten.

Im Verfolg meiner Studien hatte ich mich mit großem Eifer auf die Geschichte Europas zur Zeit der Reformation geworfen. Ich dachte daraus in der Zukunft als Professor der Geschichte meine Spezialität zu machen. Die großen Charaktere jener Periode zogen mich mächtig an, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen, einige davon dramatisch zu gestalten. So entwarf ich denn den Plan einer Tragödie, deren Hauptfigur Ulrich von Hutten sein sollte, und fing an, einzelne Szenen davon auszuarbeiten. Am Anfang des Wintersemesters 1847–48 hatte ich einen jungen Studenten aus Detmold kennen lernen, der zwar nicht in die Frankonia eingetreten war, aber sich doch als „Mitkneipant“ zu der Verbindung hielt. Er hieß Friedrich Althaus. Mehr als irgend ein anderer Mensch meiner Bekanntschaft entsprach er der Vorstellung, die man sich von einem idealen deutschen Jüngling macht. Er war eine durchaus reine und edle Natur und dazu reich mit geistigen Gaben ausgestattet. Da wir so ziemlich dieselben Studien verfolgten, so fanden wir uns leicht. Wir wurden eng miteinander befreundet, und diese Freundschaft ist lange über die Universität hinaus gleich warm geblieben. Ihm vertraute ich mein Huttengeheimnis an, und er ermutigte mich, meinen Plan auszuführen. Glücklich waren die Stunden, wenn ich ihm vorlas, was ich geschrieben und er mir darüber sein gewöhnlich viel zu günstiges Urteil gab. So verging der größte Teil des Winters in angeregten, genußreichen und auch ersprießlichen Bestrebungen. Da kam plötzlich ein gewaltiger Schicksalssturm, der mich wie so viele andere mit unwiderstehlicher Macht aus allen vorausgeplanten Bahnen riß.




Fünftes Kapitel.

Das Jahr der Revolution.

Eines Morgens gegen Ende Februar 1848 – wenn ich mich recht erinnere, war es ein Sonntagmorgen – saß ich ruhig in meinem Dachzimmer, am Ulrich von Hutten arbeitend, als plötzlich einer meiner Freunde fast atemlos zu mir hereinstürzte und rief: „Da sitzest Du! Weißt Du es denn noch nicht?“

„Nun, was denn?“

„Die Franzosen haben den Louis Philipp fortgejagt und die Republik proklamiert!“

Ich warf die Feder hin – und der Ulrich von Hutten ist seitdem nie wieder berührt worden. Wir sprangen die Treppe hinunter, auf die Straße. Wohin nun? Nach dem Marktplatz. Dort pflegten die Mitglieder der Korps und der Burschenschaften jeden Tag unmittelbar

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 075. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s075.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)