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und an verschiedenen Orten wurden Aufrufe zur Bildung von Freikorps erlassen, um durch bewaffneten Zuzug das Volk der Herzogtümer gegen die Dänen zu unterstützen. Besonders an den Universitäten fanden diese Aufrufe sofortigen Anklang, und Studenten in nicht geringer Zahl zogen nach Schleswig-Holstein, um sich dort in die Freikorps einreihen zu lassen. Mein erster Impuls war, dasselbe zu tun. Ich war bereits allen Ernstes mit den Vorbereitungen dazu beschäftigt, als Kinkel mich überredete, von meinem Vorsatz abzustehn, da die Befreiung Schleswig-Holsteins von dem dänischen Joch vom deutschen Parlament und von den deutschen Regierungen als eine nationale Sache anerkannt werde, und die dort einrückenden preußischen und anderen Bundestruppen viel besser geeignet seien, den Krieg zu führen, als lose organisierte und wenig eingeübte Freischaren. Auch verhehlte er mir nicht, daß es ihm sehr darum zu tun sei, mich bei sich in Bonn zu behalten, wo ich, wie er mich zu überzeugen suchte, durch agitatorische Arbeit dem Vaterlande viel bessere Dienste leisten könne. In der Tat schlug sich das in Schleswig-Holstein organisierte Studentenkorps recht brav, war aber der überlegenen Disziplin und Taktik der dänischen Truppen gegenüber allerlei schlimmen Zufällen ausgesetzt, so daß seine Leistungen zu den von seinen Mitgliedern gebrachten Opfern in keinem Verhältnis standen. Davon wurde ich noch mehr überzeugt durch die Erzählungen mehrerer Studenten, die, nachdem sie eine Zeitlang in Schleswig-Holstein Kriegsdienste getan, ihre Studien wieder aufnahmen.

Mehrere davon kamen nach Bonn, und von diesen trat mir Adolf Strodtmann, der später sich in der deutschen Literatur einen angesehenen Namen erworben hat, besonders freundschaftlich nahe. Er war der Sohn eines protestantischen Pfarrers in Hadersleben, einer kleinen Stadt im Herzogtum Schleswig. Vater und Sohn hingen mit Begeisterung der deutsch-nationalen Sache an, und der junge Adolf, der kurz vor dem Ausbruch der schleswig-holsteinische Erhebung das Gymnasium absolviert hatte, trat sogleich in das Studentenfreikorps ein. Wenige hätten zum Kriegsdienst untauglicher sein können, denn er war nicht allein sehr kurzsichtig, sondern auch recht taub. Er erzählte uns oft mit viel Humor von seiner einzigen kriegerischen Tat. In dem Treffen bei Bau, wo das Studentenkorps von den Dänen überrascht und übel zugerichtet wurde, merkte er an dem allgemeinen Tumult, daß etwas Ungewöhnliches los sei. Die Kommandos, die gegeben wurden, verstand er nicht; doch stellte er sich in eine Reihe mit mehreren andern, fand sich aber bald im Pulverdampf allein. „Dann“, setzte er hinzu, „schoß ich meine Büchse zweimal ab, weiß aber bis zu diesem Augenblick nicht, ob ich in der richtigen oder verkehrten Richtung geschossen. Ich sah so schlecht, daß ich die Dänen von den Unsrigen nicht unterscheiden konnte. Ich fürchte gar, ich habe in der verkehrten Richtung geschossen, denn plötzlich fühlte ich etwas wie einen starken Schlag in den Rücken, fiel hin und blieb liegen, bis mich die Dänen aufhoben und fortschafften. Es fand sich, daß ich in den Rücken geschossen worden, und daß die Kugel durch und durch gegangen war. Natürlich kann mich nur ein Däne in den Rücken geschossen haben; und da ich während des Gefechts auf demselben Fleck stehen blieb, muß ich von Anfang an den Dänen

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 088. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s088.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)