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Im ganzen war der Sommer 1848 für mich eine Zeit voll von Mühen und Sorgen. Die Zeitung, die agitatorische Tätigkeit in Klubs und Volksversammlungen, und dabei meine Studien luden mir eine schwere Last von Arbeit auf, wobei – ich muß es gestehen – meine Studien mir keineswegs als die Hauptsache galten. Meine Sorgen drehten sich um die sichtbar und stetig wachsende Macht der Reaktion, um die durch das Nationalparlament und die Berliner Versammlung verscherzten Gelegenheiten, Festes zu schaffen, und das eigene Gefühl der Machtlosigkeit, auch nur als dienendes Glied zur Abwendung des drohenden Unheils etwas Wirksames beizutragen. Ich erinnere mich, ein drückendes Bewußtsein meiner Unwissenheit in politischen Dingen mit mir herumgetragen zu haben, was um so quälender wurde, je mehr ich die Notwendigkeit empfand, durch energische und verständige Agitation das Volk auf kommende Entscheidungskämpfe vorzubereiten.

Diese Tätigkeit hatte jedoch auch ihre heitere Seite, welcher der jugendliche Sinn keineswegs unzugänglich war. Wir Studenten erfreuten uns bei der Landbevölkerung einer sehr großen Popularität, und selbst von seiten derjenigen, die nicht mit uns derselben politischen Richtung huldigten, ward uns allenthalben eine freundliche Aufnahme – nicht selten so freundlich, daß sich unsere Anwesenheit an dem Platz unserer agitatorischen Wirksamkeit zu einem fröhlichen Fest gestaltete. Auch verbanden wir zuweilen planmäßig das gesellschaftliche Vergnügen mit politischen Demonstrationen. So gab es denn patriotische Kneipereien genug und zuweilen auch nächtliche Auszüge bei Fackelschein nach einem besonders beliebten Punkt bei Bonn, der Kessenicher Schlucht, wo wir, um flackernde Feuer gelagert, mit patriotischen Reden und Gesang und sonstigen Auslassungen des jugendlichen Übermutes uns bis zum Dämmern des Morgens vergnügten. Die interessanteste Erinnerung dieser Art aus jener Zeit, die mir immer noch besonders lebhaft im Gedächtnis steht, ist die an den Studentenkongreß in Eisenach, der im September 1848 stattfand, und dem ich als Vertreter der Bonner Studentenschaft beiwohnte.

Es war dies die erste größere Reise meines Lebens. Bis dahin war ich niemals vom elterlichen Hause weiter entfernt gewesen, als man in einem Tage zu Fuß gehen oder in wenigen Stunden in einem Dampfboot fahren kann. Zum erstenmal an jenem heiteren sonnigen Septembertage hatte ich den Vollgenuß einer Rheinreise auf der ganzen Strecke von Bonn nach Mainz, und ich gab mir Mühe, die beunruhigenden Gedanken abzuweisen, die durch allerlei verworrene Gerüchte von einem Aufruhr und Straßenkampf, der in Frankfurt im Gange sei, geweckt wurden. In der Tat fand ich diese Gerüchte abends bei meiner Ankunft in Frankfurt in erschütternder Weise bestätigt.

Der Aufstand in Frankfurt hing mit folgenden Ereignissen zusammen: Schon im Frühling 1848 war, wie bereits erwähnt, die Volkserhebung in Schleswig-Holstein gegen die dänischen Gewaltanmaßungen von dem Bundestage, dann vom Nationalparlament und von allen deutschen Einzelregierungen als eine deutsch-nationale Sache anerkannt worden. Preußische und andere Bundestruppen waren in die Herzogtümer eingerückt, hatten auf dem Schlachtfelde bedeutende Vorteile

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 094. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s094.jpg&oldid=- (Version vom 29.8.2021)