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Militärherrschaft unterworfen, und damit hatte die revolutionäre Bewegung in Deutsch-Österreich ein Ende. Mehrere der ritterlichen Legionäre, mit denen wir in Eisenach so schöne Tage verlebt, waren in der Schlacht gefallen, die Überlebenden gefangen oder flüchtig.

Mit dieser Katastrophe traf auch eine entscheidende Wendung der Dinge in Preußen zusammen. Bis dahin hatte die preußische Regierung sich in konstitutionellen Formen bewegt und das Ministerium, an dessen Spitze der aufrichtig liberale General v. Pfuel stand, hatte sich in vertrauenerweckender Weise bereit gezeigt, die im März gegebenen Versprechen zur Wahrheit zu machen. Der König selbst aber und seine nächste Umgebung hatten bei verschiedenen Gelegenheiten eine Stimmung laut werden lassen, die mit jenen Versprechen wenig übereinstimmte und schwere Befürchtungen hervorrief. Endlich am 31. Oktober gab die preußische konstituierende Versammlung der allgemeinen Sympathie mit der kämpfenden Bevölkerung von Wien Ausdruck, indem sie beschloß, die Regierung Sr. Majestät aufzufordern, „bei der deutschen Zentralgewalt schleunige und energische Schritte zu tun, damit die in den deutschen Ländern Österreichs gefährdete Volksfreiheit in Wahrheit und mit Erfolg in Schutz genommen und der Friede hergestellt werde.“ Der Ministerpräsident General von Pfuel stimmte für diesen Antrag. Am nächsten Tage nahm er seine Entlassung, und der König berief darauf ein entschiedenes Reaktionsministerium, an dessen Spitze er den Grafen Brandenburg stellte, und dessen leitender Geist Herr von Manteuffel wurde. Die konstituierende Versammlung legte Protest ein, aber umsonst. Am 9. November präsentierte sich das Ministerium Brandenburg mit einer königlichen Botschaft, welche die konstituierende Versammlung bis zum 27. November vertagte und ihre Sitzungen nach der Stadt Brandenburg verlegte. Mit großer Mehrheit sprach die Versammlung der Regierung das Recht zu einer solchen Maßregel ab; aber schon am nächsten Tage wurde das Haus mit großen Militärmassen unter General Wrangel umstellt, die den Befehl hatten, jeden heraus aber niemanden hinein zu lassen. Am 11. November wurde die Bürgerwehr von Berlin aufgelöst und in wenigen Tagen entwaffnet. Die konstituierende Versammlung zog von Lokal zu Lokal, beständig von der Militärmacht gejagt, bis sie endlich am 15. November in ihrer letzten Sitzung einen Steuerverweigerungsbeschluß faßte, indem sie erklärte, „daß das Ministerium nicht berechtigt sei, über die Staatsgelder zu verfügen und Steuern zu erheben, solange die Nationalversammlung nicht ungestört in Berlin ihre Beratungen fortzusetzen vermöge.“

Diese Ereignisse riefen im ganzen Lande große Aufregung hervor. Sie schienen den Beweis zu liefern, daß die reaktionäre Hofpartei entschlossen sei, auf gewaltsamem Wege mit den sogenannten „Märzerrungenschaften“ möglichst schnell aufzuräumen. Uns Demokraten war es zweifellos, daß die konstituierende Versammlung, indem sie sich gegen den „Staatsstreich“ auflehnte, durchaus in ihrem Rechte sei. Wir tadelten sie nur dafür, daß sie, statt von ihrem Rechte den vollsten Gebrauch zu machen und das Volk ausdrücklich zu den Waffen zu rufen, sich im Augenblicke dieser großen Entscheidung auf die schwachmütige Politik des „passiven Widerstandes“ beschränkt habe. Doch glaubte

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s103.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)