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genötigt, und eine provisorische Regierung wurde eingesetzt. Aber der König wandte sich an die preußische Regierung um Hülfe. Diese wurde bereitwillig gewährt, und es waren preußische Truppen, die nach blutigem Kampf in den Straßen von Dresden den Aufstand niederwarfen und die Autorität des sächsischen Königs wiederherstellten.

Sollten die Reichstreuen, die Deutschgesinnten in Preußen ihre Hände ruhig in den Schoß legen, während ihre Regierung preußische Soldaten zur Unterdrückung der nationalen Bewegung aussandte? In Berlin und Breslau wurden Volksaufstände versucht, aber schleunig von den Behörden mit bewaffneter Hand unterdrückt. In der Rheinprovinz war die Aufregung ungeheuer. In Köln wurde eine Versammlung der rheinischen Gemeindevertretungen abgehalten, die fast einstimmig die Anerkennung der deutschen Reichsverfassung forderte und im Falle der Weigerung der preußischen Regierung mit dem Abfall des preußischen Rheinlandes von der Monarchie drohte. Aber die preußische Regierung hatte längst aufgehört, sich durch bloße Versammlungen und hochtönende Worte schrecken zu lassen, wenn nicht eine starke revolutionäre Tatkraft dahinter stand. Es war klar, um die Reichsverfassung und die nationale Einheit zu retten, mußte gehandelt werden. Wiederum blickte man auf die Hauptstadt des Rheinlandes, Köln, wo jedoch eine so große Truppenmacht konzentriert war, daß keine Schilderhebung dagegen mit der geringsten Aussicht auf Erfolg gewagt werden konnte. Aber in den Fabrikdistrikten auf dem rechten Rheinufer, in Iserlohn, Düsseldorf und Elberfeld, brach der Aufstand wirklich los. Die unmittelbare Veranlassung dazu war der des tragischen Oktoberaufstandes in Wien nicht unähnlich. Die preußische Regierung verordnete die Mobilmachung der rheinischen Armeekorps, um diese gegen die „Insurgenten“, die Verteidiger der Reichsverfassung in der Pfalz und in Baden, ins Feld zu führen. Zu diesem Zwecke wurde in der Rheinprovinz und in Westfalen die Landwehr in Dienst gerufen. Die Landwehrmänner waren damals, wie jetzt, Männer zwischen 25 und 35 Jahren, Bauern, Handwerker, Fabrikarbeiter, Kaufleute oder in gelehrten Fächern tätig, viele von ihnen Väter junger Familien. Ihren Lebenserwerb zu unterbrechen und ihre Familien zu verlassen, würde den meisten von ihnen unter allen Umständen ein schweres Opfer gewesen sein. Um wieviel schwerer war dieses Opfer, wenn es ihnen zugemutet wurde, nur damit sie helfen sollten, diejenigen niederzuschlagen, die sich in Baden und in der Pfalz für die Sache der vaterländischen Einheit und der Volksfreiheit erhoben hatten, und mit denen sehr viele, wenn nicht die große Mehrheit der Landwehrleute im Herzen warm sympathisierten? So geschah es denn, daß zahlreiche Versammlungen von Landwehrleuten gehalten wurden, die erklärten, sich nicht unter die Waffen stellen zu wollen. An mehreren Depotplätzen, an denen sich die Landwehrmänner sammeln mußten, um ins Gewehr zu treten, gab es offene Widersetzlichkeit, und in einigen, wie Düsseldorf, Iserlohn und Elberfeld wurde der Aufstand auf kurze Zeit Meister.

Offenbar aber konnte dieser Aufstand nur dann eine Möglichkeit des Erfolges haben, wenn die Erhebung im Lande allgemein wurde,

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 113. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s113.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)