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vorüber und blickte zu dem Fenster hinauf, an dem ich sie so oft gesehen. Es war dunkel. Dann ging ich zu einer verabredeten Stelle am Rheinufer hinunter, wo ich einen Genossen fand – ich glaube, es war Ludwig Meyer – mit dem ich in einem Kahn über den Rhein setzte. Drüben empfing uns der bereits früher angekommene Kamm; er präsentierte sich in einem Reisekittel mit einem Säbel an der Seite und einer Kugelbüchse in der Hand. Wir nahmen sofort von der „fliegenden Brücke“ Besitz, ließen sie nach Bonn hinüberschwingen und brachten sie gegen Mitternacht mit Menschen bedeckt nach der rechten Rheinseite zurück. Diese war die Truppe, die nach Siegburg marschieren und dort das Zeughaus nehmen sollte. Kinkel erschien mit der Muskete auf der Schulter. Unger saß zu Pferde, mit einem Säbel bewaffnet. Ein Fuhrmann namens Bühl, der in Bonn als der Führer eines anrüchigen Elementes galt, hatte sich ebenfalls zu Pferde eingefunden. Die übrigen waren zu Fuß, die meisten bewaffnet, aber nur wenige mit Schießgewehren. Mir hatte man eine Kugelbüchse mitgebracht, aber ohne passende Munition.

Anneke ordnete die Schar und teilte sie in Sektionen ein. Eine derselben wurde unter das Kommando von Joseph Gerhardt gestellt, der später nach Amerika ging und im Rebellionskriege als Oberst eines Unionsregimentes gute Dienste tat. Anneke fand, daß seine Truppe nicht ganz 120 Mann zählte, und konnte sich nicht enthalten, seiner Enttäuschung bitteren Ausdruck zu geben. Es hatten sich eben viele, die der Versammlung im Römer beigewohnt, in der Dunkelheit stille beiseite geschlichen, als das Zeichen zum Abmarsch gegeben wurde. Es mag sein, daß mancher patriotische Impuls, der am Morgen frisch und tatkräftig war, in den langen Stunden, die zwischen dem Entschluß und dem Augenblick des Handels verstrichen, abgestumpft wurde und der Müdigkeit des Abends erlegen war.

Nachdem wir nun in Kolonne formiert worden, hielt Anneke eine kurze Ansprache, in der er die Notwendigkeit der Disziplin und des Gehorsams hervorhob, und dann wurde marsch! kommandiert. Schweigend ging es nun in der Dunkelheit vorwärts auf Siegburg zu. Wir waren vielleicht eine gute halbe Stunde marschiert, als einer unserer beiden Reiter nachgesprengt kam mit dem Bericht, daß die in Bonn stationierten Dragoner uns auf den Fersen seien, um uns anzugreifen. Eigentlich hätte diese Kunde niemand überraschen sollen, denn während des Tages und Abends waren die Vorbereitungen zu dem nächtlichen Zuge so öffentlich betrieben worden, daß es erstaunlich gewesen wäre, hätten die Behörden nicht davon Kunde erhalten und dann Maßregeln getroffen, den Zweck der Expedition zu vereiteln. Überdies hatten wir vergessen, die fliegende Brücke hinter uns dienstuntauglich zu machen. Nichtsdestoweniger brachte die Meldung von dem Herannahen der Dragoner in unserer Schar viel Aufregung hervor. Anneke befahl unserem Reiter zurückzueilen und sich zu vergewissern, wie nahe und wie stark der uns nachsetzende Trupp Dragoner sei. Unterdessen wurde unser Marsch beschleunigt, damit wir noch vor der Ankunft der Dragoner den Übergang über den Siegfluß bei Siegburg-Müldorf bewerkstelligen möchten, um dem Feinde die Passage streitig zu machen. Aber dies

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 117. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s117.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)