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Bei der Mannschaft gab es nur eine einzige militärische Uniform, und zwar die eines französischen Nationalgardisten, der aus Straßburg herübergekommen war, um das Revolutionsvergnügen in der Pfalz mitzumachen. Die übrigen Leute trugen ihre bürgerlichen Kleider etwa mit einem Federschmuck auf dem Hut. Musketen fanden sich in der Truppe weniger als ein Dutzend; darunter einige mit alten Feuersteinschlössern. Der Rest der Bewaffnung bestand aus Spießen und geradegestellten Sensen. Ich selbst zeichnete mich als Regierungskommissar durch eine über Schulter und Brust geworfene schwarz-rot-gelbe Schärpe und einen Schleppsäbel aus. Außerdem trug ich im Gürtel eine Pistole ohne Munition. So ausgerüstet, marschierten wir über Land dem Dorfe zu, in dem der hochverräterische Pfarrer sein Unwesen trieb. In der Nähe des Dorfes angelangt, machten wir Halt, und da unter meinen Leuten niemand war, der in dem Dorfe Bescheid wußte, so wurden drei Mann ohne Waffen vorausgeschickt, um die Lage des Pfarrhauses auszukundschaften. Zwei von ihnen sollten, um es zu beobachten, dort bleiben, und der dritte zu uns zurückkehren, um der Expedition als Wegweiser zu dienen. So geschah es.

Als ich an der Spitze meiner bewaffneten Macht in das Dorf einmarschierte, fand ich die Straßen wie ein Bild stillen Friedens. Es war ein schöner, sonniger Sommernachmittag. – Die männliche Bewohnerschaft, Ackerbauer, arbeitete auf dem Felde. Nur einige alte Leute und kleine Kinder ließen sich an den Türen der Häuser oder an den Fenstern sehen, unsern abenteuerlichen Aufzug mit blöder Verwunderung anstarrend. Ich muß gestehen, daß ich mir einen Augenblick recht sonderbar vorkam. Aber meine amtliche Pflicht ließ mir keine Wahl. Rasch wurde mit einer Abteilung meiner Truppe das Pfarrhaus umzingelt, damit mir mein Hochverräter nicht etwa durch eine Hintertür entwischen könne. Die Hauptmacht blieb in Reih und Glied auf der Straße stehen. Ich selbst klopfte an die Tür des Hauses und befand mich bald in einer einfachen, aber behaglich ausgestatteten Stube dem Pfarrer gegenüber. Er war ein noch junger Mann, etwa 35 Jahre alt, kräftige untersetzte Gestalt, wohlgebildeter Kopf mit lebhaften, klug blitzenden Augen. Ich suchte eine strenge, martialische Miene anzunehmen und machte ihn sofort in kurzen Worten mit meinem Auftrag bekannt, legte ihm, wie ich gehört und gelesen hatte, daß es beim Verhaften üblich sei, die Hand auf die Schulter und nannte ihn meinen Gefangenen. Zu meinem Erstaunen brach er in ein helles Lachen aus, das echt schien.

„Mich verhaften wollen Sie?“ rief er. „Das ist nicht übel. Sie sind offenbar Student. Ich bin auch Student gewesen. Ich kenne das. Die ganze Geschichte ist ja nur ein Witz. Trinken Sie eine Flasche Wein mit mir.“ Dabei öffnete er die Stubentür und rief einem Dienstmädchen zu, sie möge Wein bringen.

Es verdroß mich, daß er in mir sogleich den Studenten entdeckt hatte, und daß ihm der Ausdruck amtlicher Autorität in meinen Mienen nicht imponieren wollte. „Machen Sie sich fertig, Herr Pastor“, entgegnete ich in möglichst strengem Ton. „Dies ist kein Spaß. Sie haben in Ihrer Gemeinde die Organisation der Volkswehr verhindert.

Empfohlene Zitierweise:
Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s129.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)