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Wasser liegendes Brett stieß, das sich quer zwischen die Wände des Kanals einklemmen ließ, so daß es uns als eine Art von Bank zum Niedersitzen dienen konnte. Auf dieser Bank, die unsere Lage ein wenig behaglicher machte, drückten wir uns zusammen zu längerer Ruhe.

Bis dahin hatte die beständige Bewegung, zu der wir genötigt gewesen, uns kaum zur Besinnung kommen lassen. Jetzt, auf der Bank sitzend, hatten wir Muße, unsere Gedanken zu sammeln und über das, was nun weiter zu tun sei, Kriegsrat zu halten. Ich hatte während der Belagerung oft Gelegenheit gehabt, mir die unmittelbare Umgebung der Festung genauer anzusehen, und kannte daher das Terrain, in welchem der Kanal draußen mündete, ziemlich gut. Ich schlug meinem Genossen vor, daß wir auf der Bank bis gegen Mitternacht sitzen bleiben sollten, um dann den Kanal zu verlassen und zuerst die Deckung eines nahen mit Welschkorn bepflanzten Feldes zu suchen. Von da würden wir, wenn der Himmel klar wäre, einen kleinen Teil des Weges nach Steinmauern, einem etwa eine Stunde von Rastatt entfernten am Rhein gelegenen Dorfe überblicken können – wenigstens hinreichend, um uns zu vergewissern, ob wir uns ohne unmittelbare Gefahr aus dem Welschkornfelde herauswagen dürften. Und so würden wir denn, von Zeit zu Zeit Deckung suchend und den Weg vor uns rekognoszierend, hoffen können, lange vor Tagesanbruch Steinmauern zu erreichen und dort einen Kahn zu finden, der uns auf das französische Ufer hinüberbrachte. Dieser Plan wurde von meinen Genossen gutgeheißen.

Während wir so miteinander zu Rate gingen, hörten wir über uns allerlei dumpfes Getöse wie das Rollen von Fuhrwerken und den dröhnenden Tritt großer Menschenmassen – woraus wir schlossen, daß nun die Preußen in die Festung einzögen und die Tore und Wälle besetzten. Als es etwas stiller geworden war, vernahmen wir den Klang einer Turmuhr, welche die Stunden schlug. Unsere Bank befand sich nämlich in der Nähe eines der Luftschachte, so daß das Geräusch der obern Welt unschwer zu uns drang. Gegen neun Uhr abends fing es an zu regnen, und zwar so stark, daß wir das Klatschen des herabströmenden Wassers deutlich unterscheiden konnten. Zuerst schien uns das schlechte Wetter der Ausführung unseres Fluchtplanes günstig zu sein. Bald aber kam uns die Sache in einem ganz anderen Lichte vor. Wir fühlten nämlich, wie das Wasser in unserm Kanal stieg und bald mit großer Heftigkeit, wie ein Gießbach, hindurchschoß. Nach einer Weile überflutete es die Bank, auf welcher wir saßen, und reichte uns in unserer sitzenden Stellung bis an die Brust. Auch gewahrten wir lebendige Wesen, die mit großer Rührigkeit um uns her krabbelten. Es waren Wasserratten. „Wir müssen hinaus“, sagte ich zu meinen Genossen, „oder wir werden ertrinken.“ So verließen wir denn unser Brett und drangen vorwärts. Kaum hatte ich ein paar Schritte getan, als ich in der Finsternis mit dem Kopf gegen einen harten Gegenstand stieß. Ich betastete ihn mit den Händen und entdeckte, daß das Hindernis in einem eisernem Gitter bestand. Sofort kam mir der Gedanke, daß dieses Gitter dort angebracht worden sei, um während einer Belagerung alle Kommunikation durch den Kanal zu verhindern. Dieser Gedanke, den ich meinen Gefährten sofort mitteilte, brachte uns der

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s146.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)