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folge. Wir hörten nichts. Es ist wahrscheinlich, daß das Fallen meines Karabiners ins Wasser die Aufmerksamkeit der Wachtposten in der unmittelbaren Umgebung auf sich gezogen und von der Mündung des Kanals abgewendet hatte. So mag unser Entrinnen durch den zuerst unglücklich aussehenden Zufall erleichtert worden sein.

Als Adam sich an unserm Halteplatz orientierte, fand er, daß wir uns dicht bei dem Hause seiner Base befanden. Wir setzten über einen Zaun, der uns noch von dem zu diesem Hause gehörenden Garten schied, wurden aber da von dem lauten Gebell eines Hundes begrüßt. Um ihn zu besänftigen, opferten wir den letzten Rest unserer Würste. Das Tor der Scheune fanden wir offen, gingen hinein, streckten uns auf dem an der einen Seite aufgehäuften Heu aus und fielen bald in tiefen Schlaf.

Aber diese Ruhe sollte nicht lange währen. Ich wachte jählings auf und hörte die Turmuhr sechs schlagen. Es war heller Tag. Adam hatte sich bereits erhoben und sagte, er wolle nun ins Haus zu seiner Base gehen, um anzufragen, was sie für uns tun könne. Nach wenigen Minuten kehrte er zurück und die Base mit ihm. Ich sehe sie noch vor mir – eine Frau von etwa dreißig Jahren, mit blassem Gesicht und weit geöffneten, angstvollen Augen. „Um Gotteswillen“, sagte sie, „was macht ihr hier. Hier könnt ihr nicht bleiben. Heute Morgen kommen preußische Kavalleristen als Einquartierung. Die werden gewiß in der Scheune nach Futter und Streu für ihre Pferde suchen. Dann finden sie euch und wir sind allesamt verloren.“ „Aber nehmt doch Vernunft an, Base“, sagte der gute Adam. „Wo können wir denn jetzt hin? Ihr werdet uns doch nicht ausliefern!“

Aber die arme Frau war außer sich vor Angst. „Wenn ihr nicht geht“, antwortete sie entschieden, „so muß ich es den Soldaten sagen, daß ihr da seid. Ihr könnt nicht verlangen, daß ich mich und meine Kinder für euch unglücklich mache.“

Es wurde noch mehr geredet, aber umsonst. Wir hatten keine Wahl – wir mußten die Scheune verlassen. Aber wohin? Die Frau zeigte uns durch das geöffnete Scheunentor einen von hohem und dichtem Gebüsch überwachsenen Graben auf der andern Seite des Hofes, in welchem wir uns verstecken könnten. Unsere Lage wurde verzweifelt. Da standen wir, alle drei in badischer Uniform, sofort als Soldaten der Revolutionsarmee zu erkennen. Und nun sollten wir keinen andern Zufluchtsort haben als das einen Graben deckende Gebüsch, mitten in einer Stadt, die von feindlichen Truppen wimmelte! Natürlich zögerten wir, die Scheune zu verlassen, obgleich das auch ein gefährlicher Aufenthalt war; doch bot sie uns ein Dach über dem Kopf, und vielleicht ließ sich darin ein gutes Versteck finden. Noch hofften wir, die Base werde sich erbitten lassen. Sie ging ins Haus, da sie die Ankunft der Einquartierung jeden Augenblick erwartete. Nach etwa einer halben Stunde kehrte sie zurück und sagte, die Kavalleristen seien gekommen und säßen gerade beim Frühstück. Jetzt könnten wir den Hof passieren, ohne von ihnen gesehen zu werden. Sie bestand mit solcher Entschiedenheit darauf, daß wir uns in unser Schicksal ergeben mußten. So liefen wir denn über den Hof nach dem überwachsenen Graben, der an der entgegengesetzten Seite

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Carl Schurz: Lebenserinnerungen bis zum Jahre 1852. Berlin: Georg Reimer, 1911, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schurz_Lebenserinnerungen_b1_s149.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)