Seite:Studie über den Reichstitel 21.png

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doch entwickelt sich jene volle Form immer mehr zu der eigentlichen und feierlichen Firma des Reiches.

So blieb es bis tief in das 15. Jahrhundert hinein[1], wo der Reichstitel durch jene später so oft mißverstandenen Zusätze erweitert wurde.

Bevor wir uns dieser Erweiterung des Reichstitels im 15. Jahrhundert zuwenden, müssen wir noch kurz der Einwirkung gedenken, welche auch auf seine Gestalt ein Vorgang ausübte, der einen der bedeutendsten Wendepunkte in dem geistigen Leben unseres Volkes bezeichnet, das Eindringen der deutschen Schriftsprache in den amtlichen Verkehr und insbesondere in den Gebrauch des Reichshofes. Sehen wir ab von der Verwendung der deutschen Sprache für die Aufzeichnung und Publikation von Reichslandfrieden, so begegnen uns Königsurkunden in deutscher Fassung erst nach der Ausbildung und Einbürgerung des vollen Reichstitels in den lateinischen Urkunden aus der Reichskanzlei. Wie nun aber überhaupt das Formular der lateinischen Königsurkunden nicht unverändert auf die deutschen Ausfertigungen übertragen wurde, so ist auch jener Titel nicht sogleich in die deutsche Königsurkunde übernommen worden.[2] Freilich könnte es ein Zufall sein, daß die Formel in keiner der wenigen deutschen Urkunden sich findet, die uns von Rudolf von Habsburg und seinen nächsten Nachfolgern überliefert sind, wobei wir zunächst von einer besonders charakteristischen Ausnahme unter Albrecht I. absehen; aber es ist doch ganz unzweifelhaft, daß die Kanzlei Ludwigs des Bayern, aus der bereits deutsche Urkunden in sehr großer Zahl hervorgingen, die Formel „heiliges römisches Reich“ nur ganz vereinzelt angewendet hat. Während sich beim Durchsuchen einer großen Anzahl solcher Urkunden die kürzere Formel „heiliges Reich“[3] und „römisches Reich“[4] öfter

vorfand, gelang es nur einmal, die Anwendung der vollen Form

  1. Auf vereinzelte Varianten kann ich hier nicht eingehen; doch möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß Karl IV. in den nach seiner Königskrönung ausgestellten Urkunden das Reich als sacrum Romanum regnum et imperium bezeichnet; so z. B. M. G. Const. VIII, 112, p. 100, vom Krönungstage selbst, dem 26. November 1346, und ebenda 144, p. 224 vom 9. Dezember 1346.
  2. Vgl. Vancsa, Auftreten der deutschen Sprache in den Urkunden, S. 91 f.
  3. Z. B. Winkelmann, Acta II, 484, S. 203.
  4. Z. B. Böhmer, Acta 738, S. 504.
Empfohlene Zitierweise:
Karl Zeumer: Heiliges römisches Reich deutscher Nation. Eine Studie über den Reichstitel. Weimar: Hermann Böhlaus Nachfolger, 1910, Seite 21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Studie_%C3%BCber_den_Reichstitel_21.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)