Seite:Tagebuch Russlandfeldzug 0029.jpg

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entgegen.

     Vom grünenden Maii lebten viele Tausend Familien vorzüglich in der Nähe von Warschau ganz ohne Brod, blos Milch, Grüze und gekochter Sauerrampfer waren ihre Speisen, späterhin wurde schon Korn und Gerste abgemäht, und die noch milchenden Körner auf dem Heerde gedörrt und gemahlen. Daß durch diese schlechte Lebensart Epidemien folgen würden, war außer Zweifel, und sie zeigten sich bald mehr bald weniger im Winter und Frühjahr darauf, vorzüglich in der Nähe von Warschau. So starben z. B. in Okuniew, einen kleinen Landstädtchen 3. Meilen von Warschau, welches noch nicht 200. Häuser enthielt, täglich gegen 9. Menschen, und so an andern Orten desgl. – Die einfache, ungekünstelte und unverzärtelte Lebensart, kam ihnen in dieser Zeit der Noth sehr zu statten, und ließ sie die Entbehrungen um so weniger fühlen, da der Unterhalt der gemeinen Pohlen äußerst schlecht ist. Grobes auf einer Handmühle nur geschrotenes Brodt mit Kleyen und allen vermengt, grober pohlnischer in Waßer mit Salz gekochter Grüze, wenig geschmalzen und Milch, dies sind ihre tagtäglichen Lebensmittel. Der vornehmere Pohle lebt zwar nicht so frugal, sondern bringt eine Menge Schüßeln auf den Tisch, worunter seine Lieblingsgerichte, Kascha[1] (Grüze) und eine Art kleiner trockener Quarkpastetgen, gewis nicht mangeln, doch wenn man mehrere einzeln servirte Schüßeln Fleisch und Zugemüße nach unserer Art mit einander vereinigte, so würde sich die Schüßelzahl schon von selbst vermindern, und der Deutsche würde an einer solchen einseitigen pohlnischen Tafel weniger Langeweile empfinden.

Pohlnische Tafel.     Der Pohle als Katholick feiert den Freytag und Sonnabend, als wöchentlich von der Clerysei[2] angeordnete Fasttage streng, und Fische und Mehlspeisen sind dann die einzig erlaubten Nahrungsmittel.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Kascha – polnisch kasza = Grütze
  2. CleryseiKlerus, Geistlichkeit
Empfohlene Zitierweise:
F. W. Winkler: Bemerkungen über den Feldzug gegen Rußland in den Jahren 1812 und 1813, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tagebuch_Russlandfeldzug_0029.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)