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ich höre vor den Fenstern des deutschen Stammtischlokals unterirdisch dumpf die Kegelbahnen donnern;
ich höre nachts die Lokomotiven pfeifen, sehnsüchtig schreit die Ferne, und ich drehe mich im Bett herum und denke: „Reisen …“;
ich höre, wie über mir die Hausfrau, die Megäre, trampelt, sie macht die Wohnung rein und sich schmutzig, sie führt Krieg mit den Polstern;

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ich höre, wie in Mitan Claire Waldoff aus dem Grammophon herausknarrte:

 Als das Pauline hörte,
 da rief sie überlaut:
 „Viktoria! Viktoria!
 Meine Mutter ist schon Braut –!“

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Das hört mein Gehör.


Was schmeckst du, Walt Wrobel –?

Ich schmecke die untere Kruste der Obsttorte, die meine Tante gebacken hat; was die Torte anbetrifft, so hat sie unten ein paar schwarze Plättchen, da ist der Teig angebrannt, das knirscht im Mund wie Sand;
ich schmecke den kalten Tabak der Zigarre, die ausgegangen ist, und an der ich herumzutsche, weil ich es nicht weiß – die Zigarre lacht sich einen;
ich schmecke den Satz des türkischen Kaffees, die pulverdünn gemahlenen Körner bleiben zwischen den Zähnen sitzen;

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ich schmecke den scharfen Geschmack von Kressenblättern; der preußische Kunstreferent im Ministerium kann das nicht schmecken, denn er hat keinen Geschmack;

ich schmecke die rauchige Würze alten Viktoria-Whiskys –
Das schmeckt mein Geschmack.

Empfohlene Zitierweise:
Kurt Tucholsky: Mit 5 PS. Ernst Rowohlt, Berlin 1928, Seite 346. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Tucholsky_Mit_5_PS_346.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)