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Nur, dünkt mir, fehlt ihm noch der volle Schluß.
Wer weiß, ob wirklich denn das Kind versank,
Ob nicht ein fremdes Schiff vorüberfuhr,
Das flugs an Bord den armen Fündling nahm,
Den morschen Kahn der Meerfluth überließ?
Vielleicht auf einer Insel, wie die unsre,
Ward dann das schwache Kindlein abgesetzt,
Von frommen Händen sorgsamlich gepflegt,
Und ist zur holden Jungfrau nun erblüht.

Balder.

Du weißt geschickt ein Mährchen auszuspinnen.
So laß nun deines hören, wenn’s beliebt!

Richard.

In vor’gen Tagen wußt’ ich manche Mähr’
Von unsern alten Herzogen und Helden
Und sonderlich vom Richard Ohnefurcht,
Der Nachts so hell alswie am Tage sah,
Der durch den öden Wald allnächtlich ritt
Und mit Gespenstern manchen Strauß bestand;
Doch jetzt ist mein Gedächtniß alterschwach,
Verworren schwankt mir Alles vor dem Sinn.
Drum soll das junge Mädchen mich vertreten,
Das dort so still und abgewendet sitzt
Und Netze strickt bei’m trüben Lampenschein.
Sie hat sich manches gute Lied gemerkt
Und hat ’ne Kehle, wie die Nachtigall.
Thorilde! darfst den edeln Gast nicht scheun,
Sing uns das Lied vom Mägdlein und vom Ring,
Das einst der alte Singer dir gereimt!
Ein feines Lied! ich weiß, du singst es gern.

Empfohlene Zitierweise:
Ludwig Uhland: Gedichte von Ludwig Uhland (1815). J. G. Cotta, Stuttgart und Tübingen 1815, Seite 149. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:UhlandGedichte1815_0149.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)