Seite:Ulmische Zustände 06.png

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Ein also erworbener Grundbesitz hätte als Staatsgut nicht betrachtet werden können; allein Urkunden hierüber waren nicht vorhanden und unsere Zeit, die eine solche Aufopferung unbegreiflich findet, weil sie ihrem Charakter gänzlich fremd ist, glaubt sie nicht ohne Brief und Siegel.

Nimmt man aber an: die genannten Besitzungen seyen aus den öffentlichen Kassen bezahlt worden, so floßen in dieselbe zugleich Landesherrliche und städtische Einkünfte. Das Gekaufte konnte aus diesem Grunde ebenso wohl als ein Eigenthum des Staats oder der Stadt oder als ein Beiden Gemeinschaftliches betrachtet werden. Will man hingegen nicht aus der Erwerbung, sondern aus der Benützung auf das Eigenthum schließen; so erheben sich die nämlichen Zweifel: in unserm Rathhause z. B. hielten landesherrliche Stellen, wie der Magistrat, das Herrschaftpflegamt etc. ihre Sitzungen, aber auch rein städtische Behörden, wie die Einung, das Bauamt; ja selbst die Landestellen der Reichsstadt waren zugleich städtische; der Magistrat z. B. erkannte über Leben und Tod, er nahm aber auch in das Bürgerrecht der Stadt auf, und taxirte die unentbehrlichen Lebensmittel.

Die Churfürstlich bayerische Regierung, welche die Organisation der Stadt den Landesdirektions-Räthen v. Schleich und v. Schöberl übertragen hatte, zerhieb diesen unauflöslichen Knoten dadurch, daß sie sämmtliche Dörfer, Waldungen Aecker, Wiesen, grundherrliche Gefälle etc. der Reichsstadt sowie den größten Theil ihrer Gebäude als Staatseigenthum in Anspruch nahm; dagegen aber das Defizit der Stadtkasse deckte, d. h. alle Ausgaben der Stadt, zu deren Bezahlung die ihr von der bayerischen Regierung zugewiesenen Einkünfte nicht zureichen würden, aus Staatsmitteln zu bestreiten zusicherte; welche Zusicherung auch währen der bayerischen Periode pünktlich erfüllt worden ist.

Die der Stadt zugewiesenen Ausgaben betrugen nach muthmaßlicher Vorausberechnung jährlich beiläufig      56200 fl.
die Einnahmen dagegen ungefähr 31800 fl.
somit war jährlich an Defizit zu decken 24400 fl.

Die Bürger sollten zu Bestreitung ihrer Gemeinde-Ausgaben eine Stadtsteuer nicht bezahlen, wie eine solche auch bei der reichsstädtischen Verfassung niemals erhoben worden war.

Empfohlene Zitierweise:
Christoph Leonhard Wolbach: Ulmische Zustände. Ernst Nübling, Ulm 1846, Seite 06. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ulmische_Zust%C3%A4nde_06.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)