Seite:Wünschelruthe Ein Zeitblatt 002.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Wünschelruthe

Erzählung
von
H. S.




Anna Freiser lebte im Forsthause zu Waldau, und pflegte im Jahre 1813 ihre kranke Mutter, die seit vierzehn Tagen schwer danieder lag, während das Dorf durch starke Durchmärsche feindlicher und befreundeter Heere hart gedrückt war. Den alten Förster, ihren Vater, bog das Alter krumm über sein Feuerrohr, an dem er aufgewachsen; und er saß mit gefalteten Händen vor der Kranken, und legte so seine Werke in Gottes Hände, wie sein Gebet in die seinigen, indem er, um die Jahre zu seiner silbernen Hochzeit zu zählen, die Finger zwanzigmal gekrümmt, und dadurch eben so viele Freudenschüsse zu dem reinen Himmel seines Gemüths geschossen hatte, daß seine Aussicht wie von einer Rauchwolke getrübt ward, und er nicht weiter denken als sehen konnte. So wuschen seit vielen Jahren Thränen zuerst wieder den Spiegel seines Gesichtes hell, und in ihm, der auf ein Herz ging, besah sich seine Tochter heute lieber, als in dem der Stube an der Wand, denn sie maß ihre schmerzliche Freude und nicht ihre Schönheit. – Der alte Jäger, dachte sie, weine vor Freude über die Genesung seiner Frau, und sie machte sich Vorwürfe, daß ihr nicht eben so viele Liebe zu ihrer Mutter geschenkt sey, da sie vor einem Gesangbuche mit stillen Augen saß, wie verglimmende Kohlen, äußerlich ganz trocken, innerlich voll feuriger Thränen. Sie hätte es müssen verstehen können, was ihr so tief und bang in der Seele glomm, denn ihr fehlte nur der Hauch der Worte dazu, das Bewußtseyn dieses Feuers in ihr anzufachen. Aber das Weinen des Vaters war nicht, wie wenn erfrischte Bäume sich regen und nachregnen, sondern das Hausmädchen seines Herzens besprengte die Stube und machte sie ledig zur Leichenfeier.

Der Sonntag ist der Arzt des Glaubens; auch Krankheiten ändert er zum Guten oder Bösen, wie darum ganze Gemeinden an ihm für Schwerkranke bitten. Auch Anna’s Mutter wurde ruhiger an ihm und fühlte keinen Schmerz. – Der alte Freiser wollte den Willen der Krankheit erfahren, ob sie es gut meine mit der Besserung, und ging deshalb zur Rauchkammer, schnitt ein Stück Speck ab, und, es unter die Bettdecke verbergend, bestrich er sanft damit seiner Frauen Fußsohle; und: „Diana fang!“ ihn dem Hunde vorhaltend, „ei so fahr zum Donner zu!“ rief er, als dieser ihn unberührt liegen läßt und sich scheu abwendet. Anna fuhr laut zusammen, indem sie: „die Mutter soll ja schlafen“ flüsterte, ängstlich und erschrocken über den unzeitigen Lärm. Der Förster war nun überzeugt, daß sie nicht auskäme, sicherer als durch alle: „willst du mit! willst du mit!“ der Käuzchen; so wahrhaft wird das Mittel gehalten. Das Licht fing auch bald an dunkel zu brennen; ein über das andere Mal putzte es Anna mit Sorgfalt, als könne sie dem Todesboten die Flügel stumpf schneiden; aber mit dem Lichte wurden auch ihre Augen müder, und diese Nacht wollte Alles löschen. – Die Englein, welche Mädchen aus den Augen sehen, und Feuer darin an die Liebe legen, betrübte die Müdigkeit, und Anna schloß die Augen, damit sie nicht wegflögen, weil ihnen die Flügel gewachsen, womit Mädchen, wenn sie sich umsehen, hin und her flattern. Als Träume fliegen dann diese Zugvögel vom Baume des Gemüths, von einer Gegend zur andern, und decken Zukunft unter Augenliedern auf. Das liebliche Köpfchen der Jungfrau, ihre Wohnung, senkte sich immer tiefer bis auf Gottes Wort im geistlichen Buch. „Der Sandmann ist dem Mädchen wohl in den Augen!“ sagte der Vater; und er faßte die Hand seiner Frau über dem mütterlichen Herzen, das noch einmal die Brust hob, und dann mit dem Leben brach. –

Da sah ihr Kind sich im Traume auf einer farblosen Wolke schweben, und der Mond fuhr herauf von der Erde, deren Schutzgeister eben zum Himmel kehrten. Sie neigten sich zu Anna, und reichten ihr einen Eichenzweig zur Erinnerung an die Erde und sprachen: „Berühre die Purpurschnecke des Himmels, die an der Erde, einem Blatte des himmlischen Baumes, langsam, blutend hinkriecht, mit diesem Zweige, und pflanze ihn in den farblosen Boden, daß er vor dir erröthe. Nun wehe um dich herum die siebenfarbigen Wolkenberge hinüber zu einem Regenbogen, damit die Sonne deinen Sprößling mit den farbigen Tropfen erfrische.“ Und Anna breitete die Flügel zum Regenbogen über sich aus, und stand mit den Engeln in einem Kreise; in seiner Mitte gingen die Blicke vereint hell auf in einem Sonnenfeuer, und dessen Schatten, der Mond, legte sich kühl neben ihm hin. Und mit den Flügeln wehten die Engel das Feuer an, daß Sterne als Funken in die Wolken flogen, die im Rauch aufgestiegen sich über die Erde senkten. Nun wurde die Welt hell und durchsichtig wie ein Demant, und ward das Wappen im Siegelring Gottes. Und als Anna die Gedanken in Wonne mit heiligen Lippen berührte, da rauschten die Wälder der Erde, und das heiße Wild labte sich an den Sprüchen der Bäume, die, wie auf Blätter geschrieben, wie Schatten und Ruhe die Glut des Tages erfrischten, und die Berge hallten wieder: Deine Mutter wird geboren, laß dein Herz in dem stummen ihrigen schlagen, auf daß keines sterbe.

Und der alte Förster rührte sein träumendes Kind an, um es in den Schmerz zu wecken. Es ist ein alter Glaube, man müsse bei Todesfällen Alle im Hause wach rütteln, und Speise und Trank berühren, wenn sie nicht Schaden leiden sollen. Ach daß alles Leben wacht und der Tod den Schlaf feiert! Da Anna erwachte und die Mutter todt sah, legte sie sich über sie, wie ein Regenbogen über die geliebte Erde; in den blutigen Thränen im Herzen spiegelte sich die mütterliche Liebe, und im milden Regen fielen sie als Weihwasser auf die Todte. – Der Vater ging im Hause umher, Alles, was ihm noch blieb, anzugreifen; und als er sein geliebtes Kind wie einen Gürtel um den Todesengel geschlungen sah, da zog er sein einziges Leben zu sich und drückte es an seine Brust, wie einen Stern, den sich hier seine Liebe verdiente, und der auch über seinem Sarge einsam aufgehen müsse, um zu erzählen, daß er ein Waidmann und Vater gewesen. Sprachlos stand sie an ihn gelehnt. Als er endlich entkräftet und ihr Schmerz milder war, hieß er sie, wenn auch nur durch Augenblicke Zerstreuung ihr wohl zu thun, hinuntergehen, weil er es vergessen, den einquartierten Jägerburschen zu wecken, damit der Mutter Tod keinen bösen Einfluß auf

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_002.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)