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Verschiedene: Wünschelruthe

als er oben hinkam, sah er eine Gestalt im Schallloch. „Wer bist du:“ rief er, aber sie regte und bewegte sich nicht. Da sprach er: „was willst du hier in der Nacht? mach, daß du fortkommst, oder ich werf dich hinunter.“ Der Küster dachte, es wird so arg nicht gemeint seyn, schwieg und blieb unbeweglich stehn; da rief ihn der Junge zum drittenmal an, und als er immer keine Antwort erhielt, nahm er einen Anlauf und stieß den Küster hinab, daß er Hals und Bein brach. Darauf läutete er die Glocke und wie das geschehn war, stieg er wieder hinab, legte sich ohne ein Wort zu sprechen ins Bett und schlief fort. Die Küsterfrau wartete auf ihren Mann lange Zeit, aber der kam immer nicht wieder, da ward ihr endlich Angst, daß sie den Jungen weckte und fragte: „weißt du nicht, wo mein Mann geblieben ist? er ist mit auf den Thurm gestiegen“. „Nein, antwortete der Bub, aber da hat einer im Schallloch gestanden, und weil er nicht weggehn und keine Antwort geben wollte, so habe ich ihn hinunter geschmissen; geht einmahl hin, so werdet ihr sehen, ob ers ist.“ Die Frau eilte voll Angst auf den Kirchhof und fand ihren Mann todt auf der Erde liegen.

Da lief sie schreiend zu dem Vater des Jungen und weckte ihn und sprach: „ach was hat euer Taugenichts für ein Unglück angerichtet, meinen Mann hat er zum Schallloch hinunter gestürzt, daß er todt auf dem Kirchhof liegt!“ Der Vater erschrack, kam herbei gelaufen und schalt den Jungen: „was sind das für gottlose Streiche! die muß dir der Böse eingegeben haben!“ „Ei Vater, antwortete er, ich bin ganz unschuldig, er stand da in der Nacht, wie einer der Böses vor hat, ich wußte nicht wers war, ich habs ihm ja dreimal voraus gesagt, warum ist er nicht weggegangen.“ „Ach, sprach der Vater, mit dir erleb ich nur Unglück, geh mir vor den Augen weg, ich will dich nicht mehr ansehn.“ „Ja, Vater recht gern, wies Tag ist, will ich ausgehn und das Gruseln lernen, so versteh ich doch auch eine Kunst, die mich ernähren kann.“ „Lerne was du willst, sprach der Vater, da hast du funfzig Thaler, damit geh mir aus den Augen und sag keinem Menschen, wo du her bist und wer dein Vater ist, denn ich muß mich deiner schämen.“ „Ja, Vater, wie ihrs haben wollt, das kann ich leicht in Acht behalten.“

Als nun der Tag anbrach, steckte der Junge seine funfzig Thaler in die Tasche, ging hinaus auf die große Landstraße und sprach immer vor sich hin: „wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!“ Da ging ein Mann neben ihm, der hörte das Gespräch mit an und als sie ein Stück weiter waren, daß man den Galgen sehn konnte, sagte er zu dem Jungen: „siehst du, dort ist der Baum, wo siebene mit des Seilers Tochter Hochzeit gehalten haben, setz dich darunter und wart bis die Nacht kommt, so wirst du schon das Gruseln lernen.“ „Wenn weiter nichts dazu gehört, antwortete der Junge, das will ich gern thun, lern ich aber so geschwind das Gruseln, so sollst du meine funfzig Thaler haben, komm nur Morgen früh wieder zu mir.“ Da ging der Junge zu dem Galgen und setzte sich darunter und wartete bis der Abend kam. Und weil ihn fror, machte er sich ein Feuer an, aber um Mitternacht ging der Wind so kalt, daß er trotz des Feuers nicht warm werden wollte. Und als der Wind die Gehenkten gegen einander stieß, daß sie sich hin und her bewegten, da dachte er: du frierst unten bei dem Feuer, was mögen die da aber erst friern und zapplen. Und weil er mitleidig war, legte er eine Leiter, die unten lag, an, stieg hinauf, knüpfte einen nach dem andern los und holte sie alle siebene herab. Darauf schürte er das Feuer und blies es an und setzte sie herum, daß sie sich wärmen sollten. Aber sie saßen da und regten sich nicht und das Feuer ergriff ihre Kleider. Da sprach er: „nehmt euch in Acht sonst häng ich euch wieder hinauf.“ Die Todten aber hörten nicht, schwiegen und ließen ihre Lumpen fort brennen. Da ward er bös und sprach: „wenn ihr nicht Acht geben wollt, so kann ich euch nicht helfen, ich will nicht mit euch verbrennen,“ und hing sie nach der Reihe wieder hinauf. Nun setzte er sich bei sein Feuer und schlief ein und am Morgen, da kam der Mann zu ihm, wollte die funfzig Thaler haben und sprach: „nun, weißt du was gruselen ist?“ „Nein, antwortete er, woher sollt ichs wissen, die da droben haben das Maul nicht auf gethan und waren so dumm, daß sie die paar alten Lappen, die sie am Leib haben, brennen ließen.“ Da sah der Mann daß er die funfzig Thaler heute nicht davon tragen würde und ging fort und sprach: so einer ist mir noch nicht vorgekommen.

Der Junge ging auch seines Weges und fing wieder an vor sich hin zu reden: „ach, wenn mirs nur gruselte! ach, wenn mirs nur gruselte!“ Das hörte ein Fuhrmann, der hinter ihm her schritt und fragte: „wer bist du?“ „Ich weiß nicht“ antwortete der Junge. Der Fuhrmann fragte weiter: „wo bist du her?“ „Ich weiß nicht:“ „wer ist dein Vater?“ „Das darf ich nicht sagen:“ „was brummst du so in den Bart hinein?“ „Ei, antwortete der Junge, ich wollte, daß mirs gruselte; aber niemand kann mirs lehren.“ „Laß das dumme Geschwätz, sprach der Fuhrmann, komm geh mit mir, ich will sehn daß ich dich unterbringe.“ Nun ging der Junge mit dem Fuhrmann; Abends gelangten sie zu einem Wirthshaus, wo sie übernachten wollten, da sprach er beim Eintritt in die Stube wieder ganz laut: „wenn mirs nur gruselte! wenn mirs nur gruselte!“ Der Wirth der das hörte, lachte und sprach: „wenn dich darnach lüstet,

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_014.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)