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Verschiedene: Wünschelruthe


     Es kann die Welt noch nicht erlösen
Von ihres Winters harter Zeit,
Sie dient noch neben ihm dem Bösen,
Zur Prüfung dient ihr noch der Streit;

65
     Und alle Weisen werden kommen

Und biethen ihm Geschenke dar
Und haben doch noch nicht vernommen,
Was dieses Kind urewig war.

     Allmälig wird die Welt sich stärken

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Zu schaun sein göttlich Angesicht,

Wenn sich in treuer Liebe Werken
Das Auge weiht dem neuen Licht.

     Doch keiner kann voraus verkünden
Wann diese Welt dem Ewgen reift,

75
Wann Er von Tugenden und Sünden

Mit Richterhand die Hülle streift.

     Wer wagt von uns mit irdschen Ohren
Zu hören dieses Tags Gebot,
Wenn aus den hohen Himmelsthoren

80
Vernichtung unsrer Erde droht,


     Wenn ewger Frühling dort geboren,
Und hier des Winters ewges Reich,
Und die erkoren, die verloren
Sich scheiden für die Ewigkeit.

L. Achim v. Arnim.




Ueber die Einführung des Chores auf unserer Bühne.


I.
Von J. Kreuser.


Kann der Chor bei den Deutschen seyn oder nicht? Diese Frage muß zuerst entschieden werden. Ohne Bedenken vernein’ ich es, wenn man unter dem Chor den griechischen versteht; denn ob auch die griechische Form vollendet in Allem, uns nicht und keinem andern der jetzigen Völker kann sie anpassen, denn aus sich selber muß das Volk sich herausbilden, was ihm eigenthümlich werden soll, und was es bewahre als ein Angedenken seiner selbst, und nimmer kann es lieben, noch sich rühren lassen von dem, was ihm zugekommen aus fremder Quelle. – Der Hellenen schöne Formen, von uns nachgeäfft, verlieren nicht nur ihr blühendes Leben, sondern, ganz ohne Sinn und Bedeutsamkeit, dienen sie nur, uns uns selber zu entfremden, und dem Volke seine eigne Gefühls- und Anschauungsweise vorzuenthalten. Soll im Drama sich die Menge erheben an den Großthaten, die geschehen, bewundern die Tugend, so gelitten, Scheu empfinden vor dem erdrückenden Laster, so darf dieß nicht in fremder Weise geschehen, denn gaffend und kalt wird der Zuschauer sagen: das versteh’ ich nicht, das rührt mich nicht, denn ich kenn’ es nicht. – Ihm muß das Bild gebracht werden in seiner offnen, hellen Farbenmischung, nicht in Umrissen, wo er das Leben erst suchen muß; dieß muß hervortreten von selbst und seinem Blick schon begegnen, eh der Forschende es sucht. Auch können wir ja nicht mehr glauben noch hoffen wie der Hellene, und wenn der Gelehrte sich gleichsam einbürgern kann der Hellas, so verdankt er dieß nur seiner langen Forschung, und immer bleibt es eine gewisse Künstlichkeit, sich in Anderer Gefühlsweisen zu denken. Diese aber will und mag das Volk nicht.

Schon früher hat unser großer Schiller es versucht, den Chor auch auf die deutsche Bühne zu übertragen; doch wäre sein Geist auch noch gewaltiger gewesen, der Versuch mußte verunglücken, denn wie gesagt, der Deutsche kann es sich nicht aneignen und im Glauben sehen, wie das Schicksal den dunkeln Faden spinnt, und der gewaltige Chor die Mitte hält zwischen ihm und dem Unglücklichen.

Das vorausgeschickt, woraus folgt, daß der Dichter, wenn er nicht einsam stehen will mit sich selber, das Wirken seiner Zeit und das Gesammtleben seines Volkes klar erfasse, will ich nur kurz Geschichtliches über den Chor einwerfen, der aus ganz andern Ansichten müßte behandelt werden, wenn der Deutsche sich etwas Aehnliches aneignete. – Noch hatte Griechenland nicht die herrlichen Bilder seines Lebens, Aeschylos der gewaltige hatte das Gespräch, das Sophokles vollendete, noch nicht geordnet, aber schon lange vor Thespis, Epigenes oder wer sonst der Hellenen erster Dramatiker war (s. Suidas), hatte der Chor sich völlig ausgebildet in traurigen Klag- und Liebessängen, die der Kyklope seinen Meergeliebten sang, oder in freudigen Weisen, die tanzende Satyrn dem Wonnengeber Dionysos brachten. An den herrlichen Chor reihte sich das Zweigespräch, und ohne den vollendeten Chor wäre es unmöglich gewesen, daß schon so schnell die dramatische Kunst in Sophokles ihre Blüte erreicht. Das Drama der Griechen entfaltete sich also aus dem Chor. Hingegen unser Drama, wie das aller neuern Völker, trat in die Welt vollendet, abgerundet, seiner selbst bewußt im weitem Umfang, der keines Wachsthums mehr fähig, als daß er männlicher werde; denn die Alten hatten großgesäugt das Kind der neuen Zeit, daß es auftrat der Leitung nicht mehr bedürfend, und nicht mehr rückgehen kann in die Tage der Kindheit. Dem Griechen war sein Schauspiel

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 18. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_018.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)