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Verschiedene: Wünschelruthe

undenkbar ohne den Chor, so wie ein Baum ohne Stamm, und das übrige war gleichsam eine Zierde, die lieblichen Blätter und Blüten, zum wenigsten anfangs. Wir aber müssen uns erst gewöhnen, den Chor dabei zu denken; daher kann unser Chor – den wir auch Fantasie, Lied, Romanze oder anders nennen könnten, wie es dem Stoff der Handlung anpaßt – nichts Aehnliches haben mit jenem der Griechen. Bei uns war das Drama vollendet ohne Chor, erst aus jenem kann dieser für uns entstehen. Wir müssen also sinnen, etwas Anderes zu schaffen, was unserm Volke ähnlicher sieht, und seinem Geiste näher liegt. Denn jeder von uns wird empfinden, wie bei jeder dramatischen Darstellung die Zwischenräume, die nur zu oft mit leerer Musik, übertäubendem Logengeschwätz, oder Gestampf und Gepfeife der Erwartenden ausgefüllt werden, nicht nur höchst langweilig sind, sondern uns immer hindern, einen vollendeten Eindruck zu empfangen, indem das Bild stets zerstückelt, und bei dem letzten Akte schon verwischt ist, was wir beim ersten empfingen. Nöthig scheint es mir, daß diese Zwischenränme wegfallen wie es auch geschehe, und das Drama ein ununterbrochenes Ganze bilde, vom Anfange fortwährend, ohne Unterlaß und Niederfallen des Vorhangs, bis zum Ende. Manche würden nun sagen, etwas Chorähnliches sey dazu gar nicht nöthig, und füglich könne die Handlung in Einem fortlaufen vom Beginn bis zum Ende. Aber ich behaupte, daß eine Erholung – nicht eine müssige, sondern eine beschäftigende, nicht eine abspannende, sondern eine sanft in’s Folgende überlenkende – nöthig sey, den gefesselten Geist der Schauer in etwas zu lösen. Als passende Uebergänge und Einleitung in das Folgende gebraucht, dürften aber diese Chöre nicht selbst handelnd seyn, sondern nur ruhend und die Handlung vorbereitend; eben so darf dieß, wenn ich so sagen kann, Zwischenraumsfüllsel nicht ganz fremdartigen Inhalts seyn, indem wir, abgelenkt, dann neuer Einleitung benöthigt wären, oder, ohne diese, uns nur mühsam in die folgende Handlung würden finden können. Eine leise Verbindung muß daher bestehen zwischen dem Stoffe des Drama und dem Chorliede, sey dieses auch nur in dem Gedanken begründet, der die Handlung erzeugt, oder in einer Erzählung, die rund in sich abgeschlossen, wieder vom Geist des Ganzen durchdrungen wäre, oder in einem ein, zwei, drei oder vierstimmigen Liede zu erkennen gäbe, was eigentlich die Handlung bezwecke; Betrachtungen, Lehren, reine Begriffe des Gefühls könnten darin walten, wie eben der Geist es dem Dichter eingäbe. Auch ein freundliches Mährchen könnte die Brücke seyn, und es liegt im Gemüte des Deutschen, daß er sinnig horche, und dann mit Freude zurückdenke an die stillen Knabenjahre, wo er manchen Abend so verhorcht. Mich dünkt, es müsse dem Deutschen gefallen eingefaßt in dem lieblichem Reim, der Deutschland angehört; nur mit dem Trimeter und andern, unserm Volke fremden Dingen bleibe man fern.

Dieser Chor – dem der Name eigentlich nicht gehört – sey also nichts Anderes, als ein stiller, friedlicher Uebergang aus einer Handlung in die andere, düsteren, freudigen, belehrenden, romantischen Inhalts, wie es die Sache selbst fodert, gleich einer Fantasie nach einer gewaltigen Cadenz, die still oder rauschend sich fortwälzt, wie der Geist des vorigen sie treibt. – Daß diese Chöre musikalisch vorgetragen seyn müssen, versteht sich von selbst. Sogar könnte es ein einfaches Andante ohne Worte seyn; z. B um den Gegensatz dem Laster zu bilden, könnte man in einer ruhigen Landschaft einen Frommen schlummern lassen, dessen Träume der seelige Friede der Töne durchsäuselte. –

Doch weiter hierüber zu reden wäre unnütz, nur im Beispiel kann ich zeigen, was ich gewollt, auch ist es genug, wenn ich nur eine Idee geweckt habe, die einmal ein Dichter schöner in’s Leben gestaltet, als ich es vermag. – Wenn daher gleich, aus dem Zusammenhang gerissen, die folgenden Chöre ihre wahre Bedeutung nicht völlig erhalten, so will ich doch nicht zögern, sie als Proben frommen Versuches meinen lieben Brüdern vorzulegen.


(Aus einer ungedruckten Tragoedie).
1.
Chor zwischen dem 1. und 2. Akt.

 (Einsame Landschaft; Einige beten vor einem Kruzifix).

 Erster Chor.
In des Menschen Herzen walten stille, wunderbare Mächte,
Bis es Ruh’ im Grabe findet, und kein Sturm es mehr bewegt.
Oft befreundet es sich frommem, gläubigem Geschlechte,
Und zur hohen, seel’gen Wohnung Gottes zarte Kinder trägt,
Doch sich selbst befeindet wild es, wenn die Sünde mit ihm rechtet.
Andre tragen seel’gen Frieden, wenn es in den Stürmen irrt,
Frei sind Gottes fromme Kinder von der Sünde Höllenmächten –
Nur von diesen Gottes Abbild schauerlich gefesselt wird.

Fleht demütig stets hienieden
Um den reinen Gottesfrieden!
Wem das eine Gut beschieden,
Wandelt sicher, wandelt fest
Ob die Welt im Sturm sich lößt.

 Zweiter Chor.
Wer im seeligen Gemüte
Zarte, reine Liebe trägt,
Dem hat Gott des Himmmelsblüte
In sein sterblich Herz gelegt.

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 19. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_019.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)