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Verschiedene: Wünschelruthe


ich kann mir einen herrlichen wirklichen Schauspieler denken, der auftretend eure papiernen Säulen grimmig niederrisse und ausriefe: nieder mit diesen Lumpen und Latten, wie soll diese schändliche erbärmliche Lüge mich unterstützen, mein Werk wahr machen, da ich bin, was der Held meiner Rolle war, ein Mensch, gebt mir einen Tempel von Marmor, oder keinen. - Doch das habe ich schon zu oft gesagt, für heute haben Sie genug.

(Die Fortsetzung folgt).




Der Sänger.







     Hörst du die fernen Töne nicht
Schon näher näher klingen?
O hörst du nicht, o fühlst du nicht,
Wie sie zum Herzen dringen?

5
Ach wie es rauschet, wie es wühlt

Im vollen wilden Klang!
Wie nun es lispelt, wie es spielt,
Und jetzt mich brennt, und jetzt mich kühlt,
Und sich zum tiefsten Busen stielt

10
In süßem Wehmuthsdrang! -


     Was will mir in der heißen Brust
So bange Seufzer regen? -
Was tritt wie holde Frühlingslust
Jetzt lächelnd mir entgegen? -

15
Und näher schon die Stimme dringt

In hellen Silberwogen,
Die Leier rauscht, das Lied erklingt,
Die Jungfrau ist’s die lockend singt,
Der Jüngling lauscht, das Mädchen winkt,

20
Da wird er hingezogen. -


     „Dort wo die blaue Bergeshöh’
Die goldnen Wolken küßt,
Und weiter über Fels und See,
Der blinkend jenseits fließt

25
Dort lacht er dir dort lacht der Hain

In frischer Jugendschöne
Dort prangt in köstlichem Verein
Zumal was Herbst und Lenz verleih’n;
In Blüten schläft der Zephyr ein

30
Ihn wiegen zarte Töne.


     In heimlich trauter Dämm’rung fließt,
Von Flötenhauch geschwellt,
Die Lust, von Blumenduft versüßt,
Von Mondglanz aufgehellt.

35
Dorthin, o Jüngling! dort zieh’ hin

Zum fernen stillen Hain,
Zu deines Pfad’s Begleiterin,
Die goldne Leier nimm sie hin,
Dort - bin ich selber der Gewinn,

40
Dort bin ich ewig dein!“ -


     Und da das Wort der Lipp entquoll,
Und sie mich angeblickt,
Da war’s im Busen mir so voll,
So wunderbar entzückt -

45
Und sie entwich gleich Windesweh’n

Und ward nicht mehr geseh’n;
Sie hörte nicht mein banges Fleh’n,
Sie ließ mich zagend zweifelnd steh’n;
Soll ich nun hin zum Haine geh’n,

50
Soll ich sie dort erspäh’n? -


     Hoch über Klippen führt der Weg,
Die tiefe Schlucht entlang
Klimmt über’n Fels der schmale Steg
Am jähen schroffen Hang. -

55
Und manches Thal durchpilgern mußt,

Und manches Land durchzieh’n! -
Komm Leier an des Jünglings Brust,
Bin ich des Ziels mir doch bewußt,
Und alter Schmerz verschönt die Lust,

60
Frisch aus! zum Haine hin! -


     Nun wall’ ich schon wol manches Jahr
Zum Liebchen in der Fern
Es winkt der Hain mir immerdar
Blinkt lächelnd wie ein Stern;

65
Hab nimmer Rast, hab nimmer Ruh’

Bis ich das Ziel errang
So zieh ich nun der Ferne zu,
Und meine Leier rauscht dazu
Hab ich nicht Rast, hab ich nicht Ruh’,

70
Da tröstet mich ihr Klang. -
Z.




Märchen vom Ritter und vom Vogel.




(Fortsetzung).

Ein heller Mondglanz schlief aus dem ganzen Thale, und auf dem hellen goldstrahlenden Kreuze das auf der schlechten Hütte wie eine himmlische Glorie thronte. Franz war eben vom Felsen herabgestiegen, als er vor der Hütte die wunderschöne Gestalt des Mädchens erblickte, das in heiliger Andacht über seinen Schlummer gewacht hatte. Sie schien etwas in dem hohen Grase emsig zu suchen, und flog bei Franzens Anblick mit einem lauten Schrei, der wie süßer Flötenton in des Jünglings Brust drang, in die Hütte zurück. So stand unser Abentheurer da - schwankend zwischen bunten Zweifeln. Mit unsichtbarer Hand aber zog ihn die viel holde Göttinn Minne in die Hütte. Es war in der Vorhalle

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Verschiedene:Wünschelruthe. Göttingen: Vandenhoek & Ruprecht, 1818, Seite 102. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:W%C3%BCnschelruthe_Ein_Zeitblatt_102.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)